Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
mich sehr für Geschichte. Früher habe ich sogar Führungen oben auf dem Heldenberg gemacht, aber seit die Gedenkstätte der Gemeinde gehört, überlasse ich das anderen.«
    Nachtigall forderte die zwei Besucher auf, ihm zu folgen. »Meine Frau und ich, wir wohnen dort drüben im Nebengebäude.«
    »Sehr schön. Das ist sicher sehr angenehm.« Paul ging langsam neben dem Butler her. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes mit Ihrem Bein passiert.«
    Der alte Mann winkte ab. »Ein wenig Gicht, ein bisschen Altersabnützung und in letzter Zeit gab es eine Menge Arbeit«, sagte er. »Ich bin der Butler der Herrschaft, meine Frau die Haushälterin und wir sind sehr zufrieden mit unserer Stellung hier. Wir sind sogar angemeldet, mit vollen Bezügen.«
    »Ich dachte, die Zeit der Dienstboten ist vorbei«, warf Sina halblaut ein, aber Wagner stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.
    Der Butler ignorierte den Einwurf.
    »Da haben Sie ganz recht, was soll man da noch mehr wollen? Eine große Wohnung, ein schöner Garten …« Paul blendete Nachtigall mit einem Lächeln und warf dann Georg einen finsteren Blick zu. Dieser zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen.
    »Wir haben auch Familienanschluss, das wollte ich nicht unerwähnt lassen«, erzählte der alte Mann und schien vor Stolz einige Zentimeter zu wachsen.
    »Das ist großartig«, bestätigte Wagner. »Aber jetzt, da Sie es erwähnen … Wem gehört Schloss Wetzdorf eigentlich im Moment?« Er blickte erwartungsvoll auf den Butler.
    Nachtigall setzte mit einem Schlag eine unverbindliche Miene auf. »Der Besitzer des Anwesens möchte anonym bleiben. Ich kann Ihnen seinen Namen daher nicht verraten.« Der alte Mann blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und falls Sie etwas über das Schloss schreiben, so muss ich Sie warnen, seinen Namen auch nicht zu recherchieren und zu erwähnen. Mein Chef hat sehr viel Einfluss, mächtige Freunde, und er kann jede Auflage einer Zeitung ganz schnell einstampfen lassen.« Er nickte dabei, wie um seine Worte zu unterstreichen.
    »Keine Angst, Herr Nachtigall, das ist weder meine Absicht noch in meinem Interesse«, antwortete Wagner überrascht. Mit einer solchen Reaktion hatte er hier keineswegs gerechnet. Wäre er in offiziellem Auftrag hier, hätte er höflich, aber bestimmt auf die emsige Rechtsabteilung der UMG verwiesen. Auch der alte Wineberg hatte so seine Netzwerke. Aber so … Er entschied sich, vorerst gute Miene zum bösen Spiel zu machen und den Alten nicht zu verärgern.
    Sina suchte mit seinen Blicken die Dunkelheit zwischen den hohen Bäumen zu durchdringen, deren Blätter über ihren Köpfen leise rauschten. Den bis ins Mark loyalen Butler überließ er mit Freude Pauls Professionalität. Aber es war ein mulmiges Gefühl, das sich in seinem Magen ausbreitete. Die Nacht schien beinahe auf ihn loszukriechen, ihn zu umzingeln, nach ihm zu greifen. Auf diesem Anwesen geben sich die Schatten der Vergangenheit ein Stelldichein, dachte er, und sie sind uns nicht unbedingt wohlgesonnen.
    In einiger Entfernung machte er das ehemalige Tor des Gutes aus. Ein Triumphbogen, an dessen Spitze ein schreitender Löwe stand. Zwischen zwei hohen Bäumen tauchte ein weiterer Sockel auf, der einer überlebensgroßen antiken Jägerin als Bühne diente: Artemis, ihren Bogen gespannt, wie zuvor ihr Bruder Apollon.
    »Die göttlichen Zwillinge. Und sie sind auf der Jagd«, murmelte Georg, »Aber was ist ihre Beute?« Er wandte sich langsam um und dann sah er ihn. Auf einem mit Arabesken verzierten Steinquader kauernd hob Ilioneus abwehrend und flehend die Hände zum Himmel. Es war dieselbe Statue wie vor der Villa auf dem Gallitzinberg, offensichtlich nach demselben Modell gegossen. Georg fiel es wie Schuppen von den Augen und er ärgerte sich, dass er so blind gewesen war. Die Lösung des Rätsels lag in Lambergs Tagebuch und das Attentat auf die Franz-Josefs-Bahn hier in Wetzdorf hätte ihn sofort alarmieren sollen. Paul und der Butler waren plötzlich ganz weit weg. Die Figuren begannen zu sprechen, wie in einer griechischen Tragödie:
    Ilioneus war der Sohn von Amphion, dem König von Theben, und dessen Frau Niobe gewesen. Niobe gebar Amphion sieben Söhne und sieben Töchter. Stolz auf ihre Nachkommenschaft, verhöhnte sie die Titanin Leto, die dem Göttervater Zeus nur zwei Kinder geboren hatte, die Zwillinge Apollon und Artemis. Leto wandte sich an die beiden um Hilfe und sie töteten daraufhin die Kinder der

Weitere Kostenlose Bücher