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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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umfangreichen Werkzeugkasten, der neben der Kiste am Boden stand.
    »Spielverderber«, brummte Wolle und nahm eines der Schlösser in die Hand, um es genauer zu untersuchen. Es war schwer, sehr massiv und hatte ein Schlüsselloch in S-Form. Der Bügel war zwar angerostet, aber Wolle zweifelte keinen Augenblick daran, dass es ihnen hartnäckig Widerstand leisten würde. »Vergiss die Metallsäge und lass uns lieber die Bänder lösen, da kommen wir schneller ans Ziel. Die Schlösser sind alte Wertarbeit. Da sägen wir morgen noch.«
    Peter Marzin nickte und setzte das Stemmeisen an. Nach wenigen Schlägen wusste er, dass Wolle recht gehabt hatte. Das Holz war zwar vor langer Zeit imprägniert und mit Teer versiegelt worden, aber die breiten Metallbänder waren durch den Rost geschwächt. Sie gaben nach und schließlich klappte Marzin den Deckel auf und die beiden Männer schauten neugierig ins Innere.
    »Sieht aus wie eine andere Kiste aus Metall, aber mit einer ausgehärteten, weißlichen Schicht überzogen«, stellte Wolle fest und holte ein kleines Messer aus seiner Hosentasche. »Vielleicht sollten wir vorsichtig sein. Das könnte eine weitere Falle sein«, meinte er und kratzte behutsam an der Schicht. Dann roch er an den Flocken, die an der Messerklinge hafteten. Schließlich zerrieb er sie zwischen seinen Fingern. »Das ist Paraffin zur Abdichtung und zum Schutz gegen die Feuchtigkeit«, schloss er dann. »Einfach, aber wirksam.«
    Die Zinkkiste, die unter der Paraffin-Schicht zum Vorschein kam, war entlang des Deckels zugelötet worden. An ihrer Oberseite prangte ein prächtiger, gravierter Doppeladler mit russischen Schriftzeichen darunter.
    »Entweder der Schatz der Romanows«, freute sich Fritz Wollner, »oder …«
    »Sieht eher aus wie ein Kindersarg«, meinte Marzin düster und Wolle war auf einmal nicht mehr so optimistisch, was den Schatz und die Goldvorräte in der Kiste betraf.
    »Sehr witzig«, antwortete der grauhaarige Mann und zögerte einen Moment, bevor er ein scharfes Stemmeisen an die Naht setzte und mit vorsichtigen Schlägen Zentimeter für Zentimeter das Zinn löste. Schließlich kam der Deckel frei und die Männer klappten ihn vorsichtig auf. Eine überraschend gut erhaltene Schicht Holzwolle kam zum Vorschein, dicht gepresst, die den gesamten Raum der Zinkkiste ausfüllte.
    »Das Porzellan des Zaren«, träumte Wolle und holte behutsam die erste Handvoll Holzwolle aus der Kiste.
    »Der hatte keinen Vier-Personen-Haushalt«, erwiderte Marzin trocken. »Vielleicht ist es sein Nachttopf?«
    »Darauf reagiere ich gar nicht, du Miesmacher«, gab Wolle zurück und grub weiter. Als mehr als ein Drittel der Holzwolle in einem großen Berg neben der Kiste lag und noch immer nichts Wertvolles zum Vorschein gekommen war, ließ der Enthusiasmus des »Berliner Unterwelt e.V.« spürbar nach.
    »Langsam frage ich mich, wozu der Aufwand«, murmelte Wolle und grub noch tiefer mit seinen Händen. Peter Marzin pflichtete ihm im Stillen bei und gähnte. Die Option »Schlafen« wurde immer verlockender.
    »Moment, hier ist etwas«, rief Wolle aus und zog vorsichtig einen Zylinder aus Karton oder Leder aus den Tiefen der Holzwolle. Er wog ihn in seiner Hand, dann reichte er ihn an seinen Freund weiter.
    »Eine Verleihungsurkunde«, unkte Marzin. »Oder jemand wollte sein Doktordiplom vor fremdem Zugriff schützen.«
    Wenige Minuten später stand fest, dass der dunkelrote Zylinder außer einem Berg Holzwolle der einzige Inhalt der Kiste gewesen war. Das große rote Siegel, das an den Schnittstellen zwischen Deckel und dem unteren Teil angebracht war, trug den gleichen doppelköpfigen Adler wie der Deckel der Zinkkiste. Es war unversehrt.
    »Also, wenn das der Adler der Romanows ist, was ich glaube, dann wissen wir, wie alt die Kiste ist«, dachte Marzin laut nach. »Der Zylinder muss zumindest vor 1918 versiegelt worden sein.«
    Wolle war enttäuscht. »Ich riskiere mein Leben für ein hundert Jahre altes Stück Papier? Das ist alles? Bestimmt ist es in kyrillischer Schrift geschrieben und wir können es nicht einmal lesen. Zeitverschwendung. Wir hätten uns auf die Suche nach dem Keller der IG Farben machen sollen. Die Geschäftsleitung war am Pariser Platz oder Unter den Linden und man sucht bis heute das Geheimarchiv des Unternehmens.« Seine Augen leuchteten. »Das wäre weniger gefährlich gewesen und bestimmt ergiebiger«, meinte er abschließend, fuhr sich mit der Hand durch die wirren Haare, versuchte

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