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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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der Küche auch gleich einen Tee aufgießen, der den Durst stillen und seinen Magen beruhigen würde.
    Sina kämpfte sich hoch und machte sich ganz langsam auf den Weg in die Küche. Die Schlaf- und Gästezimmer lagen im oberen Stockwerk, gemeinsam mit Wagners Büro und anderen Nebenräumen. So hatte Paul die ehemalige Schienenfläche als einen großen Raum erhalten, mit einer riesigen Küche in der Mitte.
    Die Tür von Pauls Büro flog auf und der Journalist drängte sich in Eile an Sina vorbei. In der Hand hielt er sein Diktafon und einen Notizblock. »Wenn ich nicht so einen guten Stand hätte, es würde mich drehen wie eine Drehtür«, schimpfte Sina und hielt sich am Türrahmen fest.
    Schon hörte er den Reporter die schmale, gusseiserne Wendeltreppe hinunterpoltern. Barfuß und nicht ganz so draufgängerisch setzte er zur Verfolgung an. »Du könntest ruhig etwas Rücksicht auf mich nehmen. Es ist dir völlig egal, ob du mich aufweckst oder nicht, was?«
    Wagner schaute Sina verständnislos an. »Hä?«, war alles, was er hervorbrachte.
    »Du tust so, als ob du hier wohnst … Na ja, okay, du wohnst auch hier.« Der Wissenschaftler schmunzelte. »Kaffee?«
    Wagner zog seinen Pullover an, schlüpfte dann in seine Lederjacke und schüttelte währenddessen den Kopf. »Keine Zeit.«
    »Sehe ich«, bemerkte Sina trocken und verzog die Nase. »Ungewaschen, unrasiert, unfrisiert …«
    »… und unausgeschlafen«, ergänzte Paul. »Ich muss los. Fühl dich wie zu Hause, aber das tust du sowieso. Mach dir ruhig einen Tee. Wenn du los möchtest, dort am Küchenblock liegt ein Schlüssel für dich. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Wir telefonieren dann später«, rief Wagner, griff nach seinem Helm und schwang sich auf die Fireblade.
    »Moment mal! Was ist los?«, hielt ihn Sina auf. »Ist was passiert? Rettest du die Welt, ohne mir was zu sagen?«
    »Nein, nicht einmal ansatzweise. Ein Informant hat mich gerade angerufen. Auf der Franz-Josefs-Bahn ist der Teufel los. Ein Bombenanschlag!«, antwortete Wagner knapp und drückte den Startknopf. Der Vierzylinder sprang sofort an und lief summend im Standgas.
    »Wann? Wo?«, rief Sina über den Lärm der Maschine.
    »Vor dreißig Minuten etwa. In Kleinwetzdorf, oder wie das Nest heißt. Keine vierzig Minuten von Wien in Richtung Horn. Aber ich schaffe das locker in der Hälfte der Zeit, wenn nicht sogar noch schneller«, grinste Wagner und sah sich im Geiste schon im Tiefflug an zu früh aufgestandenen Sonntagsfahrern vorbeiziehen. Dann setzte er sich den Helm auf.
    »Danke, das erleichtert den Anblick«, stichelte Sina. »Du siehst aus wie dein eigener Großvater. Was ist mit Zähneputzen, Duschen, Pinkeln?«
    »Keine Zeit. Die Story passiert, wenn sie passiert, mein Lieber«, kam es unter dem Helm hervor. »Die wartet nicht auf dich. Und das Pinkeln erledige ich irgendwo unterwegs am Straßenrand. Also, mach’s gut!« Paul winkte kurz, gab Gas und rollte aus der Remise. Dann röhrte die Honda auf, bevor der Motor schnell in der Ferne verklang.
    Sina schüttelte den Kopf und sah ihm nach. Den trifft noch einmal der Schlag, wenn er so weitermacht, dachte er sich, selbst wenn ich ihn an einen Stuhl binde, zappeln seine Füße weiter und er rennt mit dem Sessel auf dem Rücken los.
    Auf der Suche nach dem Wasserkocher kam Sina an einer neuen Ledersitzgarnitur vorbei, die ihn an den missglückten Anschlag im letzten Jahr erinnerte, als ein schießwütiger Pater ihn, Paul und Kommissar Berner ins Himmelreich befördern wollte. Seither waren die Tore zur Remise nicht mehr Tag und Nacht für Freunde und Nachtschwärmer offen, sondern alle Türen blieben versperrt und waren zusätzlich alarmgesichert. Eine kostspielige Investition, die dem Reporter gegen den Strich ging, die nach dieser Erfahrung jedoch notwendig geworden war. Die durchlöcherte Couch war auf dem Sperrmüll gelandet, gemeinsam mit Wagners Unbekümmertheit.
    Sina saß in Unterhosen auf der neuen Sitzlandschaft und sah den Teeblättern zu, die das dampfende Wasser goldgelb färbten. Der Panzer in seinem Kopf schien sich allmählich ein anderes Übungsgelände zu suchen. Widerwillig erinnerte sich Georg an die vergangene Nacht, an das Schreckensbild seines nackten, gehenkten Mentors. Drehte sich die Spirale der Gewalt weiter, wie vor einem Jahr? Waren die Todesengel zurück? Georg verwarf den Gedanken gleich wieder. Der Orden existierte nicht mehr. Aber diese neuerliche Bedrohung war real. Und diesmal war

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