Narr
auf ihr Schreien und ihr Gezeter zu achten. Die Kutscher waren nur darüber informiert worden, dass sie keine Rücksicht nehmen sollten. Die begleitenden Polizeikräfte verhinderten mit eiserner Faust, dass Neugierige den Wagen zu nahe kamen. Aber die Straßen der Hauptstadt waren um diese Zeit sowieso fast menschenleer.
Es war eine stockdunkle Nacht, die Nacht des Neumonds, durch die sich diese Karawane des Elends auf den Weg machte. Wer besonders laut schrie, protestierte oder sich aus Angst vor dem Ungewissen selbst beschmutzte, der wurde in lederne Transportsäcke eingeschnürt und auf die Ochsenkarren geworfen, wie eine Fracht, die keiner haben wollte.
Der Tag war nicht willkürlich gewählt. Der Kaiser selbst, Joseph II., hatte in einem seiner berüchtigten Handbillets die Anordnung gegeben, dass »der Turm unbedingt am 19. April bezogen« werden müsse.
Die Kutscher, die mit ihrer Menschenfracht durch Wien unterwegs waren, bekreuzigten sich beim Anblick des makabren Ortes. Die Polizisten taten unbewegt, aber im Innersten waren sie genauso beunruhigt. Ihr junger Kommandant, mit seinen auf Hochglanz gewichsten Stiefeln, den goldenen Knöpfen und einem polierten Säbel, stand mit am Rücken verschränkten Händen an der Straße über den Alsergrund, knapp vor dem Ziel, und blickte dem Konvoi aus knarrenden Karren entgegen, die sich langsam durch die Nacht mühten. Man hörte Stöhnen und Wimmern, gedämpfte Schreie und hin und wieder das Schnauben eines Pferdes. Sonst war alles ruhig. Wien schlief, der Zeitpunkt war gut gewählt.
Plötzlich vernahm der Kommandant der Einheit neben sich eine Stimme. »Der Mann hier kommt auf den ersten Wagen«, tönte es leise aus der Dunkelheit, doch als der Polizeibeamte sich suchend umwandte, sah er zunächst gar niemanden. Dann trat ein kleingewachsener, dunkel gekleideter Mann, kaum größer als ein Kind, aus der Nacht. Er hatte eine Hand tief in die Taschen seines langen Mantels vergraben. Der Dreispitz auf seinem Kopf schien viel zu groß, der Stock, auf den er sich mit der Rechten stützte, hatte einen großen silbernen Knauf, der immer wieder im Licht der Fackeln glänzte. In der Dunkelheit hinter ihm waren mehrere Begleiter postiert, die einen Schatten in ihrer Mitte zu bewachen oder zu beschützen schienen.
Der Kommandant dachte zuerst an einen schlechten Scherz. Als er den Fremden rüde zur Rede stellen wollte, was er denn glaube, wen er vor sich habe, blickte der nicht einmal auf und zog lediglich ein Siegel aus der Tasche. Dann hielt er es so, dass der Uniformierte es gut sehen konnte. Der Polizeibeamte schluckte, nickte stumm und stellte keine weiteren Fragen. Es gab nichts mehr in Frage zu stellen, wenn ihm sein Leben lieb war.
Als das erste Fuhrwerk näher kam, trat der Uniformierte vor, öffnete das Gitter und hielt es auf. Ohne sich umzudrehen, beorderte der Fremde mit einem kurzen Wink seines Stockes seine Begleiter zum Käfig. In ihrer Mitte zogen sie einen schmächtigen, in Lumpen gekleideten Mann, dessen Füße über den staubigen Boden schleiften. Sein Oberkörper und der Kopf steckten in einer Art geschnürter, lederner Zwangsjacke, die makaber aussah. Wo das Gesicht sein musste, war mit Asche eine grinsende Fratze aufgemalt worden.
Einer der Männer stieg rasch auf den Wagen, stieß einige ängstlich starrende Gesichter brutal zur Seite, bückte sich dann, ergriff die Handgelenke des scheinbar Bewusstlosen und zog ihn mit einem Ruck hinauf. Er ließ ihn in eine Ecke fallen wie ein lebloses Stück Ballast. Dann, nach einem prüfenden Blick rundum, sprang er wieder auf die Straße.
Der kommandierende Offizier wandte sich ab, während der Unbekannte seinen Begleitern zunickte. Wie Nachtgespenster verschwanden sie in einer Seitenstraße. Das Fuhrwerk rollte wieder an und der Zug setzte sich erneut in Bewegung. Jetzt war es nicht mehr weit.
»Ich glaube, Er sollte sich jetzt auf den Weg machen und den ersten Wagen begleiten«, stellte der zwergenhafte Fremde leise zu dem Uniformierten fest. Der Polizist nickte gehorsam.
»Wie … Sie befehlen, Exzellenz«, antwortete er stockend und wollte sich umdrehen, doch eine kleine, aber überraschend kräftige Hand auf seinem Unterarm hielt ihn zurück.
»Dieses delikate Vorhaben ist höchst geheim«, sagte die Stimme neben ihm leise, aber bestimmt. »Der Kaiser hat es aus seiner Privatschatulle finanziert und nur drei Menschen wussten bisher davon – Majestät, der Architekt und der Baumeister. Mach Er
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