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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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hertrippelte. Er hatte ihn nach allen Regeln der Kunst provoziert, aber Lamberg zeigte keine sichtbare Reaktion. Kryptisch wie die Sphinx, der Kerl, gut im Salon trainiert, notierte Georg im Geiste. Dann sagte er: »Wenn wir nur etwas mehr Zeit hätten, dann würde ich Ihnen ja liebend gerne den malerischen Innenhof und den Laubengang mit den Büsten unserer Nobelpreisträger und herausragenden Wissenschaftler zeigen. Aber es ist wohl in unser beider Interesse, wenn wir direkt in mein Büro gehen und gleich zur Sache kommen.«
    Lamberg atmete hörbar auf, so konnte er das Treffen kurz halten. »Sie sagen es, Professor. Sie sagen es …«, meinte er dienstfertig.
    In Georg Sinas Büro hatte das Chaos schon lange über jede Ordnung der Schöpfung triumphiert. Was Professor Meitner nicht im Geringsten beeindruckte oder störte, brachte den letzten Rest Glaubens von Ireneusz Lamberg in die Kompetenz und Sachkenntnis Sinas zum Einsturz. Der Ungar fühlte sich in einen Slalom der besonderen Art versetzt. Nachdem er von der Tür aus einen Parcours durch die aufgetürmten Bücher- und Papierberge ausgearbeitet hatte, betrat er mit steifen Schritten das Büro, sichtlich bemüht, nirgends anzustoßen, um die Stapel auf dem Boden nicht ins Wanken zu bringen. Der Schreibtisch Sinas war die Apotheose – Lamberg holte ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, wischte die Sitzfläche eines fleckigen Bürosessels aus Pressholz ab, faltete das Tuch wieder zusammen und steckte es ein. Dann ließ er sich vorsichtig nieder und verschwand damit aus dem Blickfeld, hinter einer Wand von unkorrigierten Arbeiten, nicht zurückgegebenen Büchern, Manuskriptseiten, Fotoalben, Stammbäumen und einem Kaktus, auf dessen lange Stacheln Notizen gepinnt waren. Auf dem Schreibtisch selbst war kein Quadratzentimeter Platz.
    »Sie wissen ja: Nur Kleingeister brauchen Ordnung, Genies durchblicken das Chaos«, scherzte Sina aus der Versenkung und Lamberg bemühte sich mit langem Hals, ihn zu sehen. Schließlich räumte Georg einen Bücherstapel beiseite, stellte ihn achtlos neben den Tisch und ergötzte sich an der Miene seines Besuchers. »Wissen Sie, wenn ich die Büros meiner Kollegen betrete, bin ich immer verwundert. Dort ist alles so penibel geordnet. Ich frage mich, wie man so arbeiten kann. Ich finde hier ja auch gleich alles, was ich brauche. Ich bin nämlich viel zu beschäftigt zum Suchen.«
    Lamberg lächelte hilflos. Darauf hatte ihn seine Großmutter nicht vorbereitet. Er schaute den Kaktus mit den Dutzenden gelber Zettel an wie eine fleischfressende Pflanze, die ihn jeden Moment anspringen würde.
    Sina lehnte sich geräuschvoll in seinem Sessel zurück. Mit hochgezogenen Brauen hatte er Lamberg zugeschaut, wie er den Besucherstuhl abgewischt hatte. Nun faltete er erwartungsvoll die Hände vor der Brust, spreizte die Finger und ließ die Gelenke knacken. Spiel, Satz und Sieg, triumphierte er. Du musst deinen feinen Hintern wohl oder übel auch dort platzieren, wo normalerweise meine Studenten schwitzen. Willkommen in der Liga der entnervten Sinaisten, kommentierte er im Geiste. Dann kam er auf den Punkt: »Also, was kann ich für Sie tun?«
    Lamberg riss seinen Blick mühsam vom Kaktus los und blickte dann in die Runde. An einem großformatigen Porträt schräg hinter Sina blieb er hängen. »Ein sehr schöner Druck, den Sie da direkt hinter Ihrem Schreibtisch hängen haben, Professor. Er passt nur nicht so ganz in Ihr Fachgebiet.«
    »Ach ja, aber den muss ich Ihnen ja nicht erst vorstellen. Kaiser Franz Joseph.« Sina drehte seinen Stuhl erst in Richtung des Bildes, dann wieder zu Lamberg. »Mit persönlicher Widmung.« Er wartete auf die Reaktion, die auch prompt kam. Lamberg war knapp vor dem Kollaps.
    Sina lächelte. »Ein kleiner Scherz. Ja, eine Lithografie von König Ferenc Joseph, wie Sie ihn wohl nennen würden. Kein gewöhnlicher Druck. Beachten Sie den Unterschied.«
    »Chapeau, Professor. Sie haben recht, ich bin Ungar. Und ich bin neugierig. Warum hängt das Porträt hier an so prominenter Stelle?« Lamberg war einerseits stolz, dass man ihm den Ungarn ansah, andererseits hatte er immer mehr den Eindruck, dass Sina ihn nicht für voll nahm.
    »Das Porträt habe ich schon lange. Es hing früher in meiner Wohnung, aber meiner Frau hat es nicht gefallen. Clara hat Spießer gehasst, müssen Sie wissen. Und der alte Herr war für sie das Sinnbild dieser Spezies.« Sina war ernst geworden. »Aber wir, das heißt meine Familie,

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