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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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haben ihm einiges zu verdanken gehabt. Als ich mit Clara zusammenzog, versuchte ich ihr das zu erklären. Am Ende zog sie bei mir ein und Majestät in mein Büro.« Es hatte leicht dahingesagt klingen sollen, aber es war Georg unangenehm, unter diesen Umständen von Clara zu sprechen. Der Schmerz war noch immer präsent.
    Ein zufriedenes Lächeln huschte kaum merkbar über Lambergs Gesicht, den an ihn adressierten »Spießer« überhörte er großzügig. »Wo ist Ihre Frau jetzt? Sie scheint mir eine gute Menschenkenntnis zu haben …«
    »Sie ist tot«, gab Sina brüsk zurück, lauter und aggressiver als beabsichtigt. Aber sofort hatte er sich wieder im Griff. »Clara Sina starb vor fünf Jahren bei einem sinnlosen Motorradunfall. Mein Freund, der Journalist, von dem ich Ihnen erzählt habe, war der Fahrer der Maschine. Aber, seien Sie mir nicht böse, das geht Sie eigentlich überhaupt nichts an. Und damit ist dieses Thema für mich beendet.«
    »Natürlich. Verzeihen Sie, Professor. Ich wollte nicht indiskret sein.« Lamberg senkte den Kopf. Er hatte nicht beabsichtigt, so weit zu gehen.
    »Sie waren es aber, Herr Lamberg«, knurrte Georg und ärgerte sich, über Claras Tod gesprochen und Paul in seiner Erzählung erwähnt zu haben. Immerhin hatte er nach dem Unfall über drei Jahre kein Wort mit ihm geredet. Beide hatte es viel Mühe und Zuneigung gekostet, um diesen Keil aus ihrer Freundschaft zu ziehen.
    »Es ist wohl besser, ich gebe Ihnen jetzt, was ich Ihnen zu geben habe, und gehe dann.« Lamberg erhob sich, griff in die Innentasche seines Sakkos und zog ein in Seidenpapier gewickeltes Bündel heraus.
    »Nur zu«, murmelte Sina und beobachtete misstrauisch jede Bewegung seines Gegenübers, der entweder eine Rolle spielte oder aber … Als die Hand des Mannes im Jackett verschwunden war, griff Georg zum ersten Mal seit Langem nach dem Griff des Wurfmessers, das er mit Klebeband an die Unterseite seines Schreibtisches geklebt hatte, um gegen Attentate wie im letzten Jahr gewappnet zu sein.
    Als er aber das kleine Päckchen erblickte, zog er langsam seine Hand wieder zurück. Eine undefinierbare Gefahr ging von diesem seltsamen und steifen Ungarn aus, die Sinas Unbehagen mit jeder Minute seiner Anwesenheit steigerte.
    »Das ist es, das Tagebuch meines Vorfahren. Oder sagen wir besser, was davon übrig ist«, erklärte Lamberg und reichte die Papiere über den Tisch. »Ich würde Sie dringend bitten, möglichst bald einen Blick hineinzuwerfen. Meine Karte liegt bei. Guten Tag, Professor.« Lamberg stand auf, verbeugte sich und schlug die Hacken zusammen.
    Beim Zusammenprall der Absätze zuckte Sina verwirrt zusammen. Überrascht sprang er auf, blickte den Ungarn mit großen Augen an und streckte schließlich seine Hand aus. Ihm war, als stünde sein Großvater vor ihm. Er stand unbewusst stramm vor dem dicklichen, schwitzenden Mann und verbeugte sich ebenfalls leicht.
    Verwundert betrachtete Lamberg Sina von oben nach unten. Vielleicht hatte sich Kirschner doch nicht getäuscht, überlegte er. Die beiden Männer sahen sich zum ersten Mal länger in die Augen. Georg, wie auch der Ungar, wussten in dieser Sekunde, sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt, aber nicht vom selben Baum.
    Als der Besuch endlich gegangen war und die Tür hinter ihm zufiel, plumpste Georg zurück in seinen Sessel. Er schaute nachdenklich auf und ihm gegenüber saß Clara. Wie sie es immer getan hatte, hatte sie einen der Stühle umgedreht und saß nun rittlings darauf, die Beine gespreizt, ihre beiden Unterarme locker auf der Rückenlehne. Ihren Kopf hielt sie ein wenig schief und ihr dunkles Haar fiel auf ihre Schulter. Sie lächelte mit geschlossenen Lippen. Ihre großen, braunen Augen sahen ihn an und durch ihn durch. Ihr Blick war freundlich, liebevoll, aber gleichzeitig streng und skeptisch. Georg kannte ihre Frage. Sie musste ihn nur auf diese Weise ansehen und seine innersten Geheimnisse lagen offen vor ihr.
    »Nein, Clara. Nie mehr«, antwortete Georg und schaute auf seine Hände. »Danke, weil ohne dich wäre ich geworden … wie der.« Als er aufblickte, war sie wieder verschwunden und alle Sessel standen wie unberührt an ihrem Platz.
    19. April 1784, Wien/Österreich
    M an hatte sie aus ganz Wien mit Pferdefuhrwerken und Ochsenkarren zusammengeholt. Aus überbelegten Asylen, schmierigen Unterkünften, aus den abgelegenen und üblicherweise versperrten Trakten alter Spitäler hatte man sie hinaus in die Nacht gezerrt, ohne

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