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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Innenministeriums betonte in diesem Zusammenhang nachdrücklich, dass weder ein Bekennerschreiben noch Ermittlungsergebnisse vorlägen, die auf einen islamischfundamentalistischen Hintergrund schließen lassen würden. Angesichts der ernsten Lage meldete sich der Innenminister Konrad Fürstl persönlich zu Wort und kündigte an, bei weiterer Gewaltbereitschaft Wasserwerfer und Gummigeschosse gegen die Demonstranten einsetzen zu lassen.«
    »Reaktionäres Nachtschattengewächs«, schimpfte Sina. Allerdings hegte er auch keinerlei Sympathien für die Aktionen der Extremisten.
    »Der Sprecher der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich äußerte sich empört über die Übergriffe. Im Rahmen seiner Stellungnahme erinnerte er an die Reichspogromnacht und an die Protokolle der Weisen von Zion«, verkündete der Sprecher.
    »Ach, du Scheiße!«, rief Georg verblüfft. »Wie kommt er denn da drauf?«
    »Auslöser für diese verbale Entgleisung war nach Aussage eines ranghohen Mitglieds der Glaubensgemeinschaft die Tatsache, dass vor genau einhundertundzwölf Jahren der erste Zionistische Weltkongress in Basel zusammengetreten war, auf dem die Gründung des Staates Israel beschlossen worden war. Inhalt der zionistischen Weltverschwörungstheorie ist unter anderem die Unterstellung, die Organisation würde große Städte mit großflächigen Tunnelanlagen unterminieren. Wie erst heute bekannt wurde, war gestern eine Jungpappel am Schottenring in einem fünf Meter tiefen und eineinhalb Meter breiten Loch verschwunden.« Der Radiosprecher konnte seine eigene Verwunderung kaum verbergen.
    Sina war ratlos. »Da wird die Reaktion aus dem anderen Lager nicht lange auf sich warten lassen«, mutmaßte er noch, da setzte der Sprecher bereits nach:
    »Der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde kündigte im Gegenzug an, jede Zusammenarbeit mit der islamischen Glaubensgemeinschaft mit sofortiger Wirkung zu beenden.«
    »Na bitte!«, resignierte Sina.
    »Die Exekutive rät der Bevölkerung, die Wiener Innenstadt heute Abend nach Möglichkeit zu meiden. Das Bundeskanzleramt ließ vor wenigen Augenblicken verlauten, die Regierung werde personelle und juristische Konsequenzen aus der Lage ziehen.«
    »Das wird auch dringend nötig sein«, warf Georg ein und zog das Jackett an.
    »Wir kommen nun zur Meldungsübersicht: Das Rätsel um das kuriose Verschwinden der jungen Pappel an der Wiener Ringstraße ist gelöst: Der Baum rutschte in einen Hohlraum, der durch die Wurzel eines verrotteten Baumes entstanden sein dürfte. Bei der Pflanzung der Pappel wurde der bis dahin stabile Untergrund offenbar beschädigt – so die Vermutung der zuständigen Magistratsabteilung 29.«
    »Ha! So ein Schwachsinn!«, rief Sina und zog eine Bürste durch die Haare. »Seit wann bilden verrottende Bäume einen Hohlraum? Aus Holz wird Erde, was sonst? Ihr habt doch alle keine Ahnung, wie viel Anstrengung es kostet, einen Wurzelstock auszugraben!«
    Mit verrotteten Pflanzen hatte das überhaupt nichts zu tun, dachte Sina und ärgerte sich über die völlig unsinnige Erklärung. Er nahm die Maske, lief zur Tür und schlug sie hinter sich zu. Die letzte Meldung verkündete das Radio in einem verwaisten Büro:
    »Zwei schwere Unfälle haben sich heute Nachmittag im Großraum Wien ereignet. Auf der A4, der Ost-Autobahn, in Richtung Budapest kam es im Baustellenbereich Fischamend zu einem folgenschweren Verkehrsunfall, als ein Pkw-Lenker aus ungeklärter Ursache mit seinem Fahrzeug in den Gegenverkehrsstreifen geriet und frontal gegen einen entgegenkommenden Lkw prallte. Für den Fahrer des Pkw kam jede Hilfe zu spät. Aufgrund der Aufräumarbeiten musste die Autobahn für mehrere Stunden gesperrt werden, was zu kilometerlangen Staus führte. Zu einem anderen schweren Unfall kam es auf der B1, östlich von Sieghartskirchen. Dabei wurde der Lenker des Pkw schwer verletzt und seine Beifahrerin getötet. Der Wagen war an einer Kreuzung von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Weitere Einzelheiten sind noch nicht bekannt.«
    22. Dezember 1789, Wien/Österreich
    E r hatte nicht mehr lange zu leben und er spürte es. Die Nacht war bitterkalt und draußen, vor den beschlagenen Scheiben des kleinen, hölzernen Raumes trieben die Schneeflocken in einem eisigen Wind. Kaiser Joseph II., ältester Sohn von Maria Theresia, die er gleichzeitig so gehasst wie verehrt hatte, fror wie ein gewöhnlicher Schneider trotz des langen, pelzbesetzten Mantels und

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