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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Zwergenwüchsige, der sein ganzes Leben lang um Anerkennung und Respekt kämpfen musste, war unerbittlich und grausam geworden. Er kannte alle menschlichen Schwächen und er rechnete mit ihnen, wie ein Schachspieler mit der Macht. Dass der Kaiser am Ende seiner Tage so schwach geworden war, das erschreckte ihn zutiefst. Schwäche war in seinen Augen unverzeihlich und gefährlich.
    Joseph II. wischte sich schweigend den Speichel vom Gesicht, bückte sich, zog ein Scheit aus einem Stapel neben dem Kamin und legte es nach. Die Funken stoben und der Kaiser richtete sich auf.
    »Und jetzt?« Es war selten, dass Jauerling sich unbehaglich fühlte, aber dieser Turm schien ihm wie ein dunkles Loch mitten in Wien. Es ließ kein Lachen herein und keinen Laut der Verzweiflung hinaus. Die Menschen machten einen großen Bogen um das unheimliche runde Gebäude. Sie tuschelten seit Jahren, an den Wirtshaustischen und in den Salons, meist hinter vorgehaltener Hand. Der unglaubliche Turm hatte schnell einen Spitznamen bekommen. Den Gugelhupf nannten sie ihn. Verniedlichend, menschlich.
    »Und jetzt?«, wiederholte er. Der Leiter des Schwarzen Bureaus kannte die Antwort, aber er wollte sie von seinem Monarchen hören.
    »Jetzt bin ich allein, Jauerling, allein mit mir und dem Tod, der bereits neben mir steht.« Er blickte auf den Zwerg nieder und Jauerling fragte sich, ob er ihn damit meinte. Das war nicht die Antwort, die er zu hören gehofft hatte.
    »Meine Kinder sind mir vorausgegangen, meine Frauen ebenfalls. Außer Ihm und …« Der Kaiser suchte nach dem Wort, das er nicht fand, »… ist mir niemand mehr geblieben.«
    Da ertönten plötzlich näher kommende Schritte, die über die steile Holzwendeltreppe polterten. Zwei Aufseher führten in ihrer Mitte einen schmalen, blassen Mann herein, der erstaunt zurückwich, als er den kleinen Jauerling am Fenster stehen sah.
    »Aber …«, brach es stockend aus dem Mann heraus und er sah alarmiert den Kaiser an. »Wieso …?«
    Joseph II. drehte sich wortlos zurück zu den Flammen, die nun im Kamin prasselten und ein wenig gegen die Kälte im Raum ankämpften. Der Leiter des Schwarzen Bureaus trat näher an den Neuankömmling heran und betrachtete ihn interessiert, fixierte ihn wie eine unbekannte Spezies. Die Augen des schmalen Mannes sprangen nervös zwischen dem Kaiser und der lächerlich kleinen Figur hin und her, diesen beiden Männern, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, die beide jedoch eine Aura des Todes umgab.
    »Wer ist dieser …«, begann er, dann verstummte er.
    »Zwerg?«, half ihm Jauerling kalt weiter, »Krüppel? Wicht?«
    Joseph II. hob die Hand und räusperte sich. Dann streckte er sich ächzend und drehte sich langsam um.
    »Mein schlechtes Gewissen, das mich überleben wird«, bemerkte er und ein trauriges Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er Jauerling ansah, »die dunkle Seite des Staates, der Leiter des Schwarzen Bureaus, die rechte Hand des Teufels.«
    Der Kaiser wandte sich an den schmalen Mann, der fasziniert seinen Blick nicht von dem Zwerg im langen Mantel wenden konnte. »Wir beide sehen uns heute zum letzten Mal. Unsere Gespräche, so interessant sie auch waren, werden mir nicht fehlen, weil da, wo ich hingehe, alles endet. Vielleicht war es ein Fehler, Ihn am Leben zu lassen, vielleicht auch Bestimmung. Wie auch immer …« Joseph II. verstummte und Jauerling bemerkte einen Ausdruck von Respekt im Blick des Kaisers. Es stimmte also, durchfuhr es ihn, es war wirklich wahr. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus.
    »Und jetzt?« Der oberste Chef der Geheimpolizei des Kaisers ließ nicht locker. Er würde diesen skurrilen Raum hoch über der Erde und im Zentrum des Turmes nicht ohne formelle Anordnung verlassen. Wenn schon kein Handbillet, dann wenigstens ein klarer Befehl Josephs II. Das hier war zu wichtig, um … Der Kaiser unterbrach seine Überlegungen.
    »Nichts, Jauerling, jetzt nichts. Ich überlasse es Ihm und seiner Erfahrung, seinem diplomatischen Geschick und seinem Blick in eine Zukunft, die es für mich nicht mehr gibt. Die Verantwortung liegt nun bei Ihm. Deshalb habe ich Ihn heute hierher gebracht.«
    Die Gedanken des Beamten überschlugen sich, er wollte »Nein!« schreien, aber Joseph II. hob befehlend seinen Zeigefinger und schüttelte müde den Kopf. »Sag Er nichts, gar nichts. Er war immer ein treuer Diener des Staates und ich bin überzeugt, Er wird die richtige Wahl treffen.« Damit wandte sich der sterbende

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