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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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bewegen. Dem Beispiel folgend, gingen andere Tänzerinnen auf die Knie, und bald sah es aus, als sei niemand mehr an der Musik interessiert. Wie ein schwarzer Wald standen Anzugträger aufrecht und wiegten sich zur Musik, während ihre Begleiterinnen vor ihnen knieten.
    Der DJ reagierte blitzschnell, wechselte zu »The harder they come, the harder they fall« im Reggae-Rhythmus und dann zog Irina Georg wieder weiter, während die ersten Lustschreie hinter ihnen im Dunkel des Raumes versanken.
    »Hat jeder Besucher eine persönliche … hmm … Betreuerin?«, fragte Sina, der spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterrann.
    Irina zögerte kurz, schüttelte dann den Kopf und hakte sich wieder bei ihm unter. »Nein, ganz und gar nicht«, meinte sie und nahm von einem dargebotenen Tablett ein Glas Champagner. »Die meisten kommen mit ihren Partnern, einige bringen noch Freunde mit, andere kommen absichtlich alleine und wieder andere wollen es auch bleiben.« Irina wollte weiter den Gang hinuntergehen, aber Georg hielt sie zurück.
    »Wissen die anderen, wer ich bin?«, erkundigte er sich neugierig. Sie hielt überrascht inne, schaute ihn erstaunt an und schüttelte dann energisch den Kopf.
    »Lediglich die Gastgeber wissen, wer auf der jeweiligen Einladungsliste steht und wer schließlich dem Ruf auch gefolgt ist.« Sie dachte kurz nach. Aber wenn man sich hier immer wieder trifft, dann weiß man bald, mit wem man es zu tun hat und wer welche Maske trägt. Netzwerke entstehen, die Intimität des Abends färbt schnell auf die Beziehungen ab. Wer heute mit der Vorstandsvorsitzenden schläft, für den sollte morgen eine kleine Ausschreibungskorrektur für den Auftragszuschlag kein Problem darstellen«, kicherte Irina, »selbst wenn der jeweilige Konzern gerade ein Sparprogramm beschlossen hat.«
    Georg nickte und blickte nachdenklich der dunkelhaarigen Frau nach, die ihn zu Irina gebracht hatte und nun einen anderen Gast betreute, den sie geknebelt und so sichergestellt hatte, dass auch er keinen Laut mehr von sich geben konnte. Der Mann lag vor ihr mit nacktem Oberkörper auf den Knien und sie drückte ihm ganz langsam einen Absatz in den Handrücken. Er röchelte leise und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Sein an der jungen Frau emporgerichteter Blick verlangte jedoch mehr.
    »Sie wird alle seine Wünsche erfüllen? Ist das ihr Auftrag?«, flüsterte Georg fragend und Irina antwortete ihm mit blitzenden Augen:
    »Nicht ihr Auftrag, ihre Passion. Wenn ich dir verraten würde, wer sie ist, würdest du mir nicht glauben. Aber ein paar Illusionen sind ganz nützlich im Leben, denkst du nicht?«
    Sie führte Georg mit sanftem Druck bis zum Ende des Korridors, wo sie vor einer kleinen roten Türe stehen blieb und ihn anlächelte.
    »Dieser Raum heißt das Kronprinzenzimmer. Es heißt, hier habe Erzherzog Rudolph seine kleine Marie Vetsera entjungfert.« Sie hob abwehrend die Hand. »Frag mich jetzt nicht, ob es wahr ist oder ob es woanders im Haus stattgefunden hat. Die Legende will es so.«
    Sie ging voran und öffnete die schmale Pforte, die wie eine geheime Tapetentür aussah. Der Duft von Patschuli und Moschus schien nur darauf gewartet zu haben, wie eine Woge aus dem Zimmer auf den Gang zu branden. Georg schloss genießerisch die Augen und atmete tief ein.
    »Kommst du endlich?«, flüsterte Irina ungeduldig und zog ihn an der Hand ins Innere eines Harems, der scheinbar direkt aus den türkischen Sultanspalästen hierher gebracht worden war. Mit nur einem Schritt über die Schwelle wähnte sich Georg in den Topkapi-Sarayi versetzt. Leise orientalische Musik, die von einer dreiköpfigen Kapelle hinter einem halb durchsichtigen Vorhang angestimmt wurde, schwebte durch den Raum.
    Das Herz des Harems war ein mosaikgekacheltes Wasserbassin mit Springbrunnen, das von farbigen Unterwasserscheinwerfern in eine abenteuerliche Farbpalette getaucht wurde. Darüber wölbte sich eine reich mit Stuckatur und Halbedelsteinen verzierte, osmanische Kuppel. Rundherum waren zahllose Kissen und mit orientalischen Stoffen bezogene Liegen angeordnet. An den Wänden prangten gemalte, lebensgroße Szenen aus den verschiedensten Theaterstücken und Opern, in denen Haremsdamen eine Rolle spielten. Mit schweren Vorhängen abgetrennte Separees sorgten für Intimität und waren mit orientalischen Lampen beleuchtet.
    »Angeblich wurde dieser Raum seit mehr als hundertdreißig Jahren nicht verändert«, raunte Irina Georg ins Ohr. »Er war

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