Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
erwachte nicht. Manchmal erzählte er ihm, dass er noch genau so schön war wie vorher, er glaubte, sein Freund habe Angst, entstellt zu sein, und bleibe deshalb lieber in diesem eigenartigen Dämmerzustand. Selbst das hatte ihn nicht wieder auftauchen lassen.
Florians Eltern hatten ihm eine furchtbare Zeit beschert – noch furchtbarer als die, die er ohnehin schon durchlitt. Doch Dr. Klaus hatte durchgesetzt, dass er, trotz ihres Verbotes, wieder täglich an Florians Bett sitzen durfte. Liebe und Zuneigung seien wichtig für den Patienten, hatte er den Eltern versichert. Selbst in dieser Situation! Florian könnte eventuell spüren, dass Markus in seiner Nähe war – und es würde ihn freuen, ja, das sei vielleicht der entscheidende Impuls, den Florian so dringend brauchte. Der Grund, um sich aus der Dunkelheit wieder ins Licht aufzumachen.
Natürlich gaben Florians Eltern ihm die Schuld an der Sache – war ja zu erwarten gewesen. Sie hatten es einfach nicht verstehen wollen – genauso wenig wie sein Vater. Florian und er waren ein Paar. Sie liebten sich, wollten zusammenziehen, heiraten. Vielleicht schon bald.
Nun sagten seine Eltern, wäre er dir und deinem Vater nie begegnet, so könnte er jetzt gesund und fröhlich durch sein Leben tanzen. Ohne dich ...
Er verstand ihre Verzweiflung nur zu gut, dennoch war sie kaum zu vergleichen mit der Finsternis, in der er selbst sich seit Florians Unfall bewegte. Ihr Verhalten war ungerecht, seine Verzweiflung tausendmal größer als die ihre. Und während sie sich wenigstens gegenseitig stützen konnten, hatte er niemanden, der ihn tröstete.
Seine Mutter verstand nicht, was er ihr zu erklären versuchte, was in ihm vorging, dass er beinahe seine große Liebe an den Tod verloren hätte. Er hatte den Eindruck, sie halte das Ganze für eine ärgerliche Virusinfektion: Wenn nur alle geduldig abwarteten, dann würde sich die Angelegenheit von alleine regeln.
Er sah mit tränenverschleiertem Blick auf den Monitor.
Der Puls ging regelmäßig, eine gezackte Kurve. Das einzige Indiz dafür, dass Florian noch lebte.
Auch Paul hatte keine Zeit für ihn. Der dachte nur noch an seine Katharina und diesen Lucas oder seine Mind Watchers. Sie konnten sich überhaupt nicht mehr vernünftig miteinander unterhalten! Durfte man eigentlich bei den Mind Watchers Mitglied sein, wenn man homosexuell war? Er würde ihn bei Gelegenheit danach fragen.
Sanft streichelte er über Florians fahle Wangen. Ob er wohl je wieder mit ihm sprechen würde? Oder lachen? Obgleich ihm diese Aussicht sehr unwahrscheinlich erschien, hoffte er dennoch voller Inbrunst, dieses Wunder möge geschehen. Alle anderen Probleme wären dann irgendwie lösbar.
Eine böse, kleine Stimme in seinem Inneren meldete hartnäckige Zweifel an.
Florians Welt war der Tanz.
Dr. Klaus glaubte nicht daran, dass Florian je wieder so würde tanzen können wie vor diesem furchtbaren Unfall, wenn er überhaupt wieder erwachte.
Unfall?, hakte die innere Stimme nach. Unfall? Was redest du dir denn da wieder ein? Hast du etwa vergessen, dass es nicht einfach ein Unfall war – sondern eindeutig ein Suizidversuch? Und er hat nicht einmal bei dir angerufen – er wollte es diesmal allein durchziehen. Was glaubst du wohl, wird er empfinden, wenn er gleich die Augen aufschlägt und sieht, er hat es nicht geschafft – er hat überlebt. Aber er hat es geschafft, sich selbst seinen großen Traum zu zerstören, er wird nie ein berühmter Solotänzer werden – deinetwegen!
Markus fuhr sich mit der freien Hand übers Gesicht. Es war seine Schuld – seine ganz allein. Und selbst wenn Florian erwachte – er würde doch sofort erneut versuchen, sich das Leben zu nehmen. Auf jeden Fall würde er ihn, Markus, für immer aus seinem Leben verbannen. Egal für welchen Weg Florian sich letztlich entscheiden würde, Markus wusste, dass er ihn ohne seine Begleitung gehen würde.
»Scheiße!«, schluchzte er erstickt und hoffte, Florian würde seinen Schmerz nicht bemerken. Was hatte denn sein Leben dann noch für einen Sinn mit dieser Schuld und ohne Florian?
Er trat einen Schritt vom Bett zurück. Dr. Klaus hatte ihm erklärt, es sei jede Aufregung des Patienten zu vermeiden. Nur positive Nachrichten, fröhliche Stimmen, Erinnerungen an frohe Tage. Alles andere gäbe dem Komapatienten nur das Gefühl, es sei besser, in der Dunkelheit zu verharren, um sich nicht den großen Problemen des Lebens stellen zu müssen.
Als er sich wieder im Griff
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