Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
und keine Toten mehr. Aber wahrscheinlich brauchte es fürs Vergessen stärkere Drogen, als diesen Kräutertee. Sie war hier, mitten im Gewühl, lauschte einer neuen Schreckensnachricht. Sie musste wach bleiben, wach und konzentriert.
Paul mit seiner tiefen Märchenonkelstimme fuhr wie hypnotisierend fort. »Es ist ganz schrecklich–«
»Paul, wir müssen!«, rief ein braungebrannter Typ, der im ebenfalls roten Anorak neben der Tür stand. »Die Kripo wartet.«
»Bin gleich soweit, Joschi.«
»Jetzt sag schon, was ihr gesehen habt«, fing Hans an, und Berenike schob sich näher an den Piloten heran. »Lass dir net alles so aus der Nase ziehen.«
Paul sah auf, ein schiefes Grinsen im Gesicht. »Wir sind also tiefer geflogen, um nachzusehen, was da ist. Hätte auch ein verunglücktes Tier sein können. Für die Russen war das wurscht. Die haben sich gefreut, so nahe heran zu kommen an die Schanze, den Absprungtisch. Etwas Rosiges ist da unten, gleich beim Startbereich. Etwas Starres. In etwa so groß wie ein Mensch, schätzen wir. Viel tiefer können wir nicht mehr fliegen. Also funk ich die Polizei an. Dann laden wir die Russen auf einem Feld vor einer dieser blöden Bars in Mitterndorf ab. Die Alte im stylishen Schizeug zickt herum, weil sie doch den ganzen Tag fliegen hat wollen. Der Russe lässt uns gewähren und zahlt brav. – Geh, gib mir bitte noch einen Schnaps, Hans«, bat Paul. Der schenkte ein, Paul stürzte den Inhalt des Stamperls wie nix hinunter, schüttelte sich kurz. »Statt den Russen nehmen wir jetzt die Polizei mit hinauf. In der Nachmittagssonne fliegen wir zurück zum Kulm. Und was soll ich sagen«, er fixierte das leere Glas, Hans schenkte kommentarlos nach. »Sowas glaubt’s ihr nicht. Das Weiße da oben, das ist ein Mensch. Er hat nix an, nicht a bisserl G’wand. Bei an die minus zehn Grad.«
Die Männer, die Paul umringten, nickten.
»Nackt auf der Schanze – mein Gott.«
Eine ältere Frau bekreuzigte sich. »Tot?«
»Ja.«
Zwei Frauen tuschelten. »Aber wie kommt man denn überhaupt da hin?«
Paul stürzte den nächsten Schnaps hinunter. »Im Prinzip kann jeder da rauf, wenn er sich nicht an das Verbot hält und die Schneemassen überwindet. Wisst’s eh, von der Loipe einfach rauf stapfen.« Paul drehte das Glas in den Händen.
»Red weiter!«
»Nun, wir starren also alle den Menschen an, der da nackt an der Schanze ist. Er bewegt sich nicht. Wisst’s was … des kann er auch nicht. Er ist nämlich gefesselt. An Armen und Beinen. Dicke rote Seile winden sich um seinen Körper. Das sehen wir jetzt. Gefesselt an die dunkelste Tanne gleich neben der Schanze, neben dem Start. Mit dem Rücken zum Baum. Die Hände hinter dem Stamm zusammengebunden. Mit festen, kompliziert aussehenden Knoten. Später, wenn sie ihn losmachen wollen, gehen die Knoten gar nicht recht auf, man muss den Toten mit einem Messer losschneiden. An seinem Penis haben sich Eiszapfen gebildet. Und sein Mund … sein Mund … ist mit Klebeband verklebt.« Paul schüttelte sich. »Er war so … dünn … schlank … direkt die Rippen hat man g’sehn! Und noch jung … armer Teufel. Na, jedenfalls ein Mords-Trara da oben, in der Eiseskälte. Die Polizei hat das komplette Aufgebot bestellt. Die Schaulustigen sind immer mehr geworden, obwohl alles großräumig abgesperrt worden ist, der ganze Hügel mitsamt den Almen dahinter. Die meisten Langläufer wussten noch nichts von dem grausigen Fund am Kulm. Später hat die Polizei die Loipe gesperrt und die Sportler mit Bussen zu einem anderen Einstieg im Zentrum von Mitterndorf gebracht. Ein paar wollten natürlich nicht einsehen, warum sie ihre Tour abbrechen mussten.« Paul seufzte. »Wir haben den Toten dann runter geflogen im Hubschrauber.«
»Jetzt sag schon, wer ist der Tote?« Berenike stand direkt neben Paul.
»Ich persönlich hab ihn nicht erkannt.«
»Wo habt ihr ihn hin transportiert?«, fuhr irgendwer dazwischen.
»Ins Spital nach Bad Aussee. Dort wird er, äh, die Leiche obduziert …«
»Paul, kommst du?«, rief Joschi.
»Ja-ha.« Paul stellte das Schnapsglas hin, stand auf, streckte sich, seine Beine zitterten fast unmerklich, aber er stapfte einfach davon. Davon zur Tür.
»Also wisst ihr nicht, wer der Getötete ist?«
»Doch. Das is’ ja das Tragische.« Joschi drehte sich halb zu ihnen um. »Der Tote hat den Kulm von seiner besten Seite gekannt. Es is’ niemand anderer als …«
»Berenike, ich muss noch z-zahlen«, stotterte Paul. »Den
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