Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Berenike ließ sich zurücksinken, die Augenlider folgten mit dem Fallen, schlossen sich, aber da war kein gnädiger Schlaf, nur diese Tränen. Sie hatte alles versucht, den Kater überall gesucht.
Nach einer Minute oder zwei raffte sie sich auf. »Disziplin!«, meinte sie die Stimme von Großmutter Roither zu hören, die eine Greißlerei in Wien betrieben hatte, jahrzehntelang. »Disziplin!«, hart auf den Konsonanten betont. Die Oma war seit Jahren tot, führte aber noch aus dem Grab heraus ihr eisernes Regiment. Ihr kühles, hartes Regiment. »Oma, ich leb auf meine Weise«, antwortete Berenike im Geiste und sammelte ihren Willen. Sie schwang die Beine aus dem Bett, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
Beim Frühstück – das sie nur aus Vernunftgründen einnahm, denn Berenike spürte keinerlei Hunger nach all den Vorkommnissen – dachte sie über die Verbindung aus dem Traum nach, die ihr nicht mehr einfiel. Es hatte mit dem Bertram Verlag zu tun – aber wie? Eine Strategie musste her, wie sie dort weiter recherchieren konnte. Gedankenverloren nippte sie an dem neuen Frühstückskräutertee, viel Himbeerblatt und anderes, das wach machen sollte, es aber nicht so recht tat. Der Tee konnte nicht zaubern, wenn grad alles schief lief. Dazu kaute sie lustlos an einem Stück vertrocknetem Brot, das sie bereits vor Tagen gekauft hatte. Fing das schon an wie bei der Frau Großmutter! Keine vernünftigen Nahrungsmittel im eigenen Heim – alles Frische nur im Geschäft. Berenike nahm sich vor, gleich heute einen Großeinkauf zu machen und auch das Tiefkühlfach aufzufüllen.
Zuerst aber noch einmal die Webseite des Bertram Verlages aufrufen. Wo war der Laptop? Ach ja, im Rucksack. Sie stellte ihn auf den alten, blaugestrichenen Küchentisch. Endlich war er bereit. Der Browser lud zuerst eine Nachrichtenseite. Irgendwelche Schifahrer hatten irgendwelche Erfolge eingefahren. Egal. Berenike klickte weiter zur Verlagswebseite. Moment – Sport? War es das gewesen? Sie überlegte, während sich die Seite langsam aufbaute. Sie blätterte erneut durch die schauderhaften Buchankündigungen. Sport … Sport … genau, sie hatte die Ankündigung einer Sportler-Biografie gesehen. Jetzt war sie sich sicher. Nur an einen Namen oder ein Gesicht konnte sie sich nicht erinnern.
Sie suchte weiter. Kein Sportler. Nicht ein einziger. Auch nicht unter den Autorennamen. Nach kurzem Nachdenken gab Berenike ›Simon Einstatt‹ und ›Bertram Verlag‹ in die Suchmaschine ein. Sie bekam eine Liste mit Ergebnissen, die auf den ersten Blick nichts mit der Sache zu tun hatten. Gedankenverloren klickte sie das oberste Ergebnis an. Der Computer arbeitete, die Sanduhr erschien. Nach einer endlosen Weile – ›Webseite kann nicht angezeigt werden‹. Mist! Daneben ein Baustellenzeichen. Sehr lustig. Zornig fuhr Berenike mit der Maus herum, klickte wütend mehrmals hintereinander. Plötzlich wurde die Seite grün – grün wie jene des Bertram Verlags. Sie ließ die Maus los und sah mit offenem Mund zu, wie sich quälend langsam eine Buchankündigung aufbaute. Der Browser hörte nicht auf, die Seite zu laden – ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Nicht alle Informationen waren lesbar. Die Seite erinnerte Berenike an etwas, das einmal in der Eventagentur passiert war. Es sah aus, als hätte jemand die Informationen aus dem Netz nehmen wollen, das aber nur schlampig durchgeführt, sodass ein paar Dinge noch auffindbar waren. Gebannt überflog Berenike die vorhandenen Zeilen. Der Verlag hatte vorgehabt, eine Biografie Simon Einstatts auf den Markt zu bringen. ›Flug übers Eis‹ hätte der Titel lauten sollen. An Stelle des Covers gähnte ein schwarzumrandetes Rechteck. Weiße leere Fläche, rot durchgestrichen. Von der Inhaltsangabe war wenig zu entziffern, da die Buchstaben wie wild über den Bildschirm sprangen. In all dem Geflimmer konnte man etwas jedoch ganz deutlich erkennen: Den Namen von Ariane Meixner, die als Co-Autorin genannt wurde.
14.
»Möchtest du gleich ein Abenteuer erleben oder lieber erst Tee trinken?«, fragte Peter. »Zuerst den Tee!«, sagte Wendy schnell.
(aus: Peter Pan)
Berenike las Ariane Meixners Portrait, wie es für das Sportler-Buch zusammengestellt worden war. Endlich erfuhr sie ein paar Fakten über die Journalistin. Jahrgang 1981, Studium der Germanistik in Wien, Journalismus-Lehrgang in den USA. Mitarbeit beim Time Magazine, Praktikum bei einer Zeitung in Russland, deren Name Berenike schon
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