Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
hieb mit der Faust gegen die Mauer. »Ah, verdammt.«
»Weh getan?«
»Geht schon.« Markus strich sich mit der Hand übers Kinn. »Der Daniel war im Waisenheim untergebracht. Weil meine Eltern mir mehr Chancen bieten wollten, haben sie mich ins Internat geschickt. Sonst hätt ich einen weiteren Schulweg gehabt. Der Pfarrer hat mit dem Daniel Katz und Maus g’spielt. Er hat oft was auszusetzen gehabt an ihm. Danach wollt er ihn trösten, wie er es genannt hat. Na, du kannst dir vorstellen, wie … Wenn ich den scheinheiligen Pfaffen erwisch!« Mit plötzlichem Schwung riss Markus die Klotür auf. »Auch jetzt noch ist er dem Daniel nachg’stiegen, und wie. Das Temperament vom Daniel hat ihn wohl besonders gereizt. Simon und mich hat der Stettin später in Ruhe gelassen, nachdem wir weg waren, auch den Paul, der bald darauf gegangen ist. Aber den Daniel hat der Stettin verfolgt, hat ihn berühren wollen und ihm dabei gedroht, dass er den Mund halten soll über alles Vorgefallene. Weil, der Daniel hat weiterhin im Waisenheim gewohnt. Wo hätte er hin sollen? Er hat Angst gehabt. Dass man ihn zurück nach Rumänien schickt. Deshalb hat er nie gewagt, über die Vorfälle zu reden. Hat keine Anzeige gemacht. Der Stettin hat ihm suggeriert, der Daniel sei mit schuld an allem, er wolle das auch – diese Tour. Wenn er was sagt, würde er ihn zurück nach Rumänien schicken, in die Pampa, aus der er gekommen ist. Natürlich hat das dem Daniel Angst gemacht. Er spricht fast kein Rumänisch, war seit seiner frühen Kindheit nicht mehr dort. Der Stettin hat ihm weismachen wollen, dass er ihn in der Hand hat, dass mit seinen Papieren was nicht stimmt. Dass der Daniel auf ihn angewiesen sei.« Markus seufzte. »Und jetzt sollen Daniel und Paul ausgerechnet am Backenstein gewesen sein. Den haben wir gemieden, alle Ehemaligen. Dort hat der Herr Pfarrer eine Hütte gehabt. Kuschelnest hat er’s genannt. Der mit seinem Familienwahn. Pah, ekelhaft. Früher haben wir’s gut gefunden. Ich hab mich geborgen gefühlt.«
Berenike nickte stumm.
»Meine Familie war ein Scherbenhaufen. Nachdem mein Vater verunglückt ist, hat meine Mutter nicht gewusst, wie es weitergehen wird. Das Haus voll Schulden, drei Kinder zu ernähren. Sie war dauernd am Arbeiten, wenn wir was wollten, keine Chance. Dagegen beim Stettin … Der hat kein Schulgeld verlangt.« Markus wirkte mit einem Mal verträumt, selbst die Ringe um die Augen schienen zu verblassen. »Wie soll ich dir das erklären? Er hat sich um uns bemüht. Da war Nähe. Bis … weißt eh.«
»Er hat euch benutzt, mit einem eindeutigen Ziel.«
Er keuchte. »So kann man das sagen. Damals war uns das nicht so klar. Die Burschen aus’m Osten haben das überhaupt gut gefunden. Die wollten körperliche Nähe. Der Simon hätt auch den Schnabel halten sollen, nach all den Jahren. Wem bringt die Schimpferei heut noch was? Und für die Kinder tut der Pfarrer wirklich viel.« Markus hielt inne, holte Luft.
»Ach, aber verdrängen ist keine Lösung, findest nicht?« Berenike seufzte.
»Wahrscheinlich nicht, nein.« Der Bergretter schluckte heftig. »Dass ausgerechnet der Daniel jetzt tot ist! Grad er hat sich so bemüht um ein neues Leben. Er war sogar bei einem Therapeuten, leicht ist ihm das nicht gefallen, kannst dir vorstellen.«
»Klar. Aber es ist ein guter Ansatz. Was für einen Therapeuten hatte er denn?«
»So ein Kunstmensch aus Bad Aussee. Der hat ihm geraten, das Erlebte rauszulassen, künstlerisch zu verarbeiten. Weißt, selbst ich hab an der Erinnerung zu kiefeln, obwohl nichts wirklich Schlimmes vorgefallen ist. Es ist bei mir bei Versuchen geblieben, beim Daniel war das anders. Die Übergriffe müssen wirklich heftig gewesen sein. Vor allem, wenn man sowieso homosexuell ist. Vielleicht hat der Daniel geglaubt, so was sei normal … dazu der Stettin, der ihm Schuldgefühle einimpft …«
»Und gleichzeitig wird Homosexualität von der Kirche abgelehnt. Wie krank. Bei so einem Erlebnis kann eine Therapie nur von Vorteil sein. Ein Trauma wird schlimmer, je mehr man es in sich reinfrisst. Ich kenn das, leider.«
»Du?«
»Ja. Alte Geschichte. Erzähl ich dir vielleicht ein anderes Mal.«
»Hmhm«, Markus nickte und sah sie dabei forschend an. Er lächelte, dass ihr warm ums Herz wurde. Für einen Moment war da eine besondere Verbindung zwischen ihnen. »Ich hätt dem Daniel ein neues Leben echt gegönnt. Der war so begabt, ein musikalisches Genie. Er hat was machen wollen aus
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