Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
Hubertus im Blick zu behalten. Er hatte sich zwar das Muster des blauweißen Hummelschen Foulards eingeprägt, doch je mehr sie sich der Niederen Straße näherten, umso mehr Hästräger bevölkerten die Stadt. Von allen Seiten ertönte das »Klong, klong« der Rollen.
Dass der Himmel über Villingen an diesem Morgen strahlend blau und die Temperatur klirrend kalt war, beflügelte die Narros zusätzlich. Es war das perfekte Wetter für die dick gepolsterten und schwer beladenen Hästräger.
Auch für Hubertus. Schon über die ganze Bertholdstraße hinweg war er gesprungen und hatte immer wieder im Hochgefühl der Fasnet gejuchzt. So sportlich und dynamisch kannte Klaus den Freund eigentlich gar nicht.
Er selbst hingegen tat sich zunächst schwer und hatte Mühe, nicht über jeden Bordstein zu stolpern. Dabei kam es ihm so vor, als wäre er fast blind. Außerdem fühlte er sich mit den Polsterungen, dem riesigen Kragen um den Hals und der straff gebundenen, engen Lindenholzscheme wie in einer mittelalterlichen Foltervorrichtung. So eine furchteinflößende Kombination aus Zwangsjacke und Maske hatte er einmal in einem Museum gesehen.
Und überhaupt: Lohnte sich das ganze Theater? Gut, er könnte versuchen, für die Dienstagsausgabe eine Reportage zu schreiben – »Mein erstes Mal als Narro« oder so ähnlich.
Wahrscheinlich würde die Geschichte aber mit seiner Ohnmacht nach fünf Minuten enden …
Mehr als einmal war er kurz davor, Passanten zu bitten, ihm seine Scheme zu öffnen. »So ein Quatsch. Und den Mörder finden wir sicher auch nicht«, fluchte er leise vor sich hin.
Hubertus hingegen war kaum noch zu halten.
Die Stadt- und Bürgerwehrmusik hatte sich vor ihnen aufgereiht, dazwischen stand der Narrovater. Hubertus nahm einen tiefen Luftzug durch die kleinen Öffnungen der Scheme und warf einen Blick auf die malerischen Häuserfassaden der sonnendurchfluteten Niederen Straße. Im Hintergrund ragte das Obere Tor hervor. Links und rechts hatten sich Menschentrauben gebildet. Auf die Idee, in einer solchen Situation nach einem Narro mit einem grünen Foulard mit schwarzen Verästelungen zu suchen, kam er natürlich nicht.
Dann endlich erklangen die ersten Takte des Villinger Narromarsches. Zwar liefen Hubertus die Schweißperlen übers Gesicht, und auch sonst war er bereits ziemlich durchnässt, doch dieses wundersame Hochgefühl ließ ihn die Anstrengung vergessen. Er sprang hinter den Musikern her – mit großer Eleganz, wie Hubertus selbst fand. Auch Klaus machte die ersten Versuche, verlor aber nach ein paar Sprüngen fast schon das Gleichgewicht. Ein Zugbegleiter hielt ihn gerade noch am Arm fest.
Fast wäre Riesle auf eine Brünette mit Sommersprossen und Mikrofon gestürzt: Die Reporterin des SWR-Fernsehens dirigierte gerade den Kameramann zwischen den Narros herum und erklärte in breitestem Schwäbisch in die Linse, was es mit dieser Fasnet auf sich hatte.
»Danke … äh … Dankschee«, hauchte Klaus durch die Scheme. Heute war Dialekt ja Pflicht. Der Ratsherr der Narrozunft schaute etwas skeptisch.
Als Hubertus das erste Mal an den Straßenrand ging, um zu strählen, folgte Klaus und staunte dann. Plötzlich sprach Hubertus lupenreines Villingerisch. Ob »Gau lau«, »stau lau« oder »bliebe lau«. Er schien den Urdialekt, wie er eigentlich fast nur noch an Fasnacht gesprochen wurde, fließend zu beherrschen. Sonst hielt es der Freund doch mehr mit Hochdeutsch – vor allem seiner Schüler wegen.
Endlich entdeckte Hubertus ein Strählopfer. »Du, los e’mol, Mäschgerle«, sprach er eine blonde Frau mittleren Alters an. Mit dem Säbel zeigte er auf das erschrockene Gesicht der Frau. Hummel nahm den Säbel wieder herunter und legte die linke Hand gespreizt an die Scheme. Ein Zeichen dafür, dass Narro Hummel zum Strählen bereit war.
»Häsch dine Scheer au dabei? No kansch viellicht emol dine eigene Haar abschniede un nit die Krawatte vu andere Liet …«, strählte Hubertus, juchzte und brachte die Rollen zum Klingen.
Die Blonde erschrak. »Wat … wie war dat?«, stammelte sie vor sich hin. Von dem Kauderwelsch hatte sie überhaupt nichts verstanden.
Es war Hummels Kollegin Carola Hübschen aus dem Rheinland, die seine Lieblingskrawatte ruiniert hatte. Noch immer blickte die Kollegin ziemlich verstört drein. Hummels Attacke hatte gesessen. Er juchzte nochmals.
Von den Alkoholika, die Hubertus für die Strähl-opfer am Straßenrand in seinen Hosentaschen verstaut hatte,
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