Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
bekam die Hübschen nichts ab. Dafür wurde sein Kumpel Edelbert, den er kurz vor dem Latschariplatz ausmachte, mit zwei Schnäpsen und ein paar Bonbons belohnt. Dafür nahm Hummel ihn für den Ausflug ins heterosexuelle Milieu aufs Korn. Er belehrte ihn, dass er seinen Mund doch besser am Schorleglas lassen sollte. Edelbert grinste leicht gequält.
Den Ministerpräsidenten an der Ehrentribüne ließ Hubertus aus. Dort stand bereits eine ganze Schlange von Narros an – wie an einer Supermarktkasse. Jeder hatte dem Würdenträger etwas unter die Nase zu reiben.
»Jetzt gucket au mol die schene Maschgere aa«, dröhnte es aus den Lautsprechern, als Hubertus und Klaus in die Obere Straße einbogen. Letzterer fühlte sich sofort angesprochen und versuchte sich Hubertus’ Instruktionen vom Morgen noch mal in Erinnerung zu rufen: immer aufrecht, elegante Haltung, einfach aristokratisch!
An die festgebundene Scheme hatte er sich allmählich gewöhnt. Und auch mit dem Gleichgewicht klappte es nun besser.
Hubertus hatte dafür seine erste Schwächephase. »Zu schnell angegangen«, brummelte er leise vor sich hin und fühlte sich wie ein Marathonläufer kurz vor dem Aufgeben.
Ein etwas mulmiges Gefühl und eine leichte Übelkeit stellten sich ein. Hummel musste aufstoßen. Ein säuerlicher Geruch verbreitete sich unter der Scheme – eine kleine Erinnerung an die Weinschorle und die Mehlsuppe vom Frühstück.
Hubertus beschloss, eine Weile nicht mitzuspringen, obwohl der Narromarsch schon wieder angespielt wurde. Vielleicht hätte er doch Elkes Rat befolgen und sich vor der Fasnet in ihren Yoga-Kurs begeben sollen. Er war einfach zu unsportlich, vielleicht sogar etwas zu dick.
Doch schon bald wurde er von seinem Unwohlsein abgelenkt.
Als der Umzug kurz ins Stocken geriet, hob er den Kopf und richtete die Augenschlitze seiner Scheme in Richtung Sprecherkabine, die sich in einem Erker befand. Dort saß sein angehender Schwiegersohn, der gestresste Narr Didi Bäuerle, und tauschte mit einem anderen, wesentlich korpulenteren Ratsherrn Kalauer aus. Außerdem führten sie Touristen in das Villinger Fasnetgeschehen ein – in einer Sprache, die sie für Hochdeutsch hielten. Beide trugen ihre Ratskappen und dazu blaue, üppig mit Orden geschmückte Ratsherrenwesten.
Als Hubertus’ Blick zu einer dritten Person am Fenster wanderte, wurde ihm noch viel heißer. Zwar hatte er heute auf seine Brille verzichtet, doch diese Frau erkannte er auch so.
Es war ganz eindeutig die Stupsnase von Martina, die gerade an der Fensterscheibe hing. Hubertus war kurz vor einem Tobsuchtsanfall. Wie konnte es Didi bloß wagen, seine hochschwangere Tochter in dieses Getümmel zu schleppen? Was, wenn die Wehen einsetzten?
Einen Moment lang überlegte Hummel, ob er aus dem Umzug ausscheren und Martina aus der Sprecherkabine ziehen sollte. Doch dann entschied er sich dagegen. Der Montagsumzug war der Höhepunkt des Jahres. Der musste einfach zu Ende gelaufen werden.
Außerdem wollte er Klaus nicht in voller Montur seinem Narroschicksal überlassen. Aber der angehende Schwiegersohn konnte sich schon mal auf einen gewaltigen Ärger gefasst machen.
Als sie den Latschariplatz zum zweiten Mal kreuzten, tauchte im Hintergrund das Riettor auf. Die blauweißen Fähnchen – die Farben der Stadt Villingen – flatterten im Wind und hingen wie ein Baldachin über der Rietstraße.
Endspurt! Hubertus konzentrierte sich, nahm alle Kraft zusammen und bemühte sich, sein körperliches Unwohlsein zu ignorieren. Jetzt bekam er den Tunnelblick: Er sah nur noch das Riettor vor sich, das immer kleiner zu werden schien, je mehr er sich ihm näherte. Und wieder ertönte der Refrain des Narromarsches. Die weißen Kragen vor ihm begannen bereits auf- und abzuwippen: Narrosprung.
Die Reihen der Zuschauer wurden dichter, und die Menschen schienen immer lauter zu jubeln. Jetzt galt es, noch mal eine gute Figur zu machen. Von Klaus war mittlerweile nur noch das ständige »Klong, klong« zu hören. Zumindest für den sportlichen Teil des Narrodaseins hatte Klaus durchaus Talent.
Als Hubertus endlich unter dem schmalen Bogen des Riettors stand, brannten seine Oberschenkel. Die Schultern schmerzten von den schweren Rollen. Der Mund war trocken, das Gesicht tropfnass. Er brauchte jetzt dringend eine Weinschorle.
20. BISS UND FEDERAHANNES
Für Kommissar Müller im zwanzig Kilometer entfernten Rottweil war die Nacht recht kurz gewesen. Dies hatte vor allem an der
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