Narrenturm - Roman
Horn zu sagen pflegt«, beendete Reynevan den Satz und wunderte sich über seinen Scharfsinn.
»Leise!«, zischte der Goliarde. »Um Gottes willen leise bei diesem Namen, Herr!«
Die Sterz’ waren tatsächlich mit überstürzter Hast aus dem Weiler geflohen, so, als wäre eine Tatarenmeute hinter ihnen her, als hätte die Nachricht von der Pest sie erreicht, sie waren davongestoben, als wäre ihnen der Teufel auf den Fersen. Dieser Anblick hatte Reynevans Selbstgefühl wesentlich gestärkt. Als er aber sah, vor wem sie geflohen waren, als er begriff, wer da nach Schönau kam, hörte er auf, sich zu wundern.
An der Spitze der kleinen Schar von Rittern und berittenen Schützen ritt ein Mann mit vorspringendem Kinn und Schultern, breit wie ein Kirchentor, vornehm und prächtig in eine Mailänder Rüstung gekleidet. Auch das Pferd des Ritters, ein riesiger Rappe, war mit einer Rüstung versehen: Die Stirn bedeckte ein
chamfron
, eine Stirnplatte, den Hals dagegen ein leichterer Halsschutz, das
crinet
.
Reynevan hatte sich unter die Schönauer Raubritter gemischt, die diesmal zahlreich in den Hof geströmt waren. Außer Samson hatte keiner ihn bemerkt, und niemand achtete auf ihn. Von Scharley noch immer keine Spur. Ringsherum tummelten sich die Raubritter wie ein Hornissenschwarm.
Zu beiden Seiten des Ritters in der Mailänder Rüstung ritten zwei andere – ein Jüngling mit reicher Haarpracht, schön wie ein Mädchen, und ein schlanker, hagerer mit eingefallenen Wangen. Beide waren ebenfalls in voller Rüstung, beide saßen auf Pferden, welche eine lederne Schabracke schützte.
»Hayn von Czirne«, sagte Otto Glaubitz bewundernd. »Seht ihr, was für eine Milanese er trägt? Beim Teufel, die ist wenigstens vierzig Mark wert.«
»Der links, dieser junge«, schnaufte Wenzel de Hartha, »das ist Fryczko Nostitz. Und der auf der rechten Seite, das ist Vitelozzo Gaetani, ein Italiener . . .«
Reynevan seufzte leicht. Ringsumher war ähnliches Seufzen, Schnaufen und leises Fluchen zu vernehmen, das davon zeugte, dass das Auftauchen eines der berühmtesten und berüchtigtsten Raubritter Schlesiens nicht nur ihn beeindruckte. Hayn von Czirne, Herr auf der kleinen Burg Nimmersatt, genoss von allen den schlimmsten Ruf, und sein Name verbreitete nicht nur Schrecken unter Kaufleuten und friedlichen Bürgern, sondern auch gewaltigen Respekt unter seinen Kollegen.
Hayn von Czirne hatte währenddessen sein Pferd vor den Anführern angehalten, war abgestiegen und trat nun sporen- und waffenklirrend näher.
»Herr Stolberg«, sagte er mit tiefer Bassstimme, »Herr Barnhelm.«
»Herr Czirne.«
Der Raubritter blickte sich um, als wolle er sich davon überzeugen, dass seine Begleiter die Waffen zur Hand hatten und seine Schützen die Armbrüste in Bereitschaft hielten. Nachdem er sich so Gewissheit verschafft hatte, legte er die linke Hand auf den Griff seines Schwertes und stemmte die rechte in die Hüfte. Breitbeinig und mit erhobenem Haupt stand er da.
»Ich mache es kurz«, donnerte er los, »denn ich habe keine Zeit für langes Geschwätz. Jemand hat die Walonen überfallen und ausgeraubt, die Bergleute der Reichensteiner Grube. Ich habe davor gewarnt, die Walonen von Reichenstein stehen unter meinem Schutz und Schild. Also sage ich euch, und ihr hört mir aufmerksam zu: Wenn einer von euch, ihr Galgenstricke, seine Finger dabei im Spiel hatte, möge er es besser gleich selbst bekennen, denn wenn ich ihn zu fassen kriege, werde ich dem Kerl die Haut in Streifen abziehen, auch wenn er ein Ritter ist.«
Markwart von Stolbergs Gesicht verdüsterte sich, als ziehe eine dunkle Wolke darüber. Die Schönauer Raubritter begehrten auf. Fryczko Nostitz und Vitelozzo Gaetani regten sich nicht, sie saßen wie zwei eiserne Puppen auf ihren Pferden.Aber die Schützen aus ihrem Gefolge senkten die Armbrüste, bereit zum Angriff.
»Ein begründeter Verdacht«, fuhr Hayn von Czirne fort, »fällt auf Kunz Aulock und Stork von Gorgewitz. Also sage ich euch, und hört mir gut zu: Wenn ihr diese Diebe und Bankerte in Schönau versteckt, dann kriegt ihr es mit mir zu tun! Es ist bekannt«, verkündete Czirne mit starker Stimme und kümmerte sich keinen Deut um das zunehmende Murren der Ritter, »dass die Bankerte Aulock und Stork bei den Sterz’ in Sold stehen, bei den Brüdern Wolfher und Morold, ebensolche Bankerte und Lumpenhunde. Mit denen habe ich noch eine alte Rechnung zu begleichen, aber jetzt ist das Maß voll. Wenn sich
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