Narrenturm - Roman
Jungfrau, aber eine, die sich auch anderen Liebhabern hingegeben hat, ist eine Hure. Denn wenn Reinmar von Bielau in ihrem Bett war, kann es auch jeder andere gewesen sein.«
»Sehr liebenswürdig! Herzlichen Dank!«
»Danke mir nicht. Ich habe nur gesagt, dass Amor dich gerettet hat. So musst du es sehen.«
Oh, nicht ganz, dachte Reynevan. Nicht ganz.
»Ich weiß schon, was du denkst«, sagte der Ritter zu seiner Überraschung. »Dass ein Toter noch besser schweigt? Dass sie auf Stolz danach trachten werden, dich zu vergiften oder dirmöglichst unauffällig den Hals umzudrehen? Keineswegs, du bist im Irrtum, wenn du so denkst. Willst du wissen, warum?«
»Das will ich.«
»Deine heimliche Inhaftierung auf Stolz hat Herr Johann von Biberstein höchstpersönlich dem Herzog angeboten. Und der Herzog ist sofort darauf eingegangen. Und jetzt das Beste: Weißt du, warum sich Biberstein so sehr beeilt hat, ihm diesen Vorschlag zu unterbreiten?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Aber ich. In ganz Münsterberg ist dieses Gerücht umgegangen. Die Schwester des Herzogs, Gräfin Euphemia, hat darum gebeten. Und die genießt beim Herzog hohes Ansehen. Es heißt, das sei so seit den Kindertagen. Deswegen hat die Gräfin am Hofe von Münsterberg eine so einflussreiche Stellung. Obwohl sie doch keine offizielle Position einnimmt, was ist sie denn schon für eine Gräfin, sie verfügt nur über einen wertlosen Titel und ihre Ehre. Elf Kinder hat sie dem schwäbischen Friedrich geboren, aber als sie Witwe wurde, haben diese Kinder sie aus Oettingen vertrieben, das ist kein Geheimnis. Aber in Münsterberg hat sie die Zügel in der Hand, das kannst du nicht bestreiten.«
Reynevan dachte nicht daran, es zu bestreiten.
»Aber nicht nur sie«, fuhr Hackeborn kurz darauf fort, »hat bei Herrn Johann Biberstein ein gutes Wort für dich eingelegt. Willst du wissen, wer noch?«
»Das will ich.«
»Bibersteins Tochter, Katharina. Du musst ihr aufgefallen sein.«
»Ist das so eine hoch gewachsene Hellblonde?«
»Spiel doch nicht den Ahnungslosen! Du kennst sie doch. Es geht das Gerücht, sie hätte dich schon einmal vor deinen Verfolgern gerettet. Ach, wie seltsam das alles miteinander verknüpft ist. Sag selbst, ist das nicht eine Ironie des Schicksals, eine Komödie der Irrungen? Ist das nicht ein Narrenturm? Ein Narrenturm im wahrsten Sinne des Wortes?«
Das stimmt, dachte Reynevan. Das ist ein Narrenturm. Und ich . . . Scharley hatte Recht, ich bin der größte Narr von allen. Der König der Dummköpfe, das Oberhaupt der Idioten, der Hochmeister des Ordens der Schwachköpfe.
»Im Turm von Stolz sitzt du nicht lange«, meinte Hackeborn fröhlich, »wenn du Vernunft annimmst. Es wird, und das weiß ich ganz bestimmt, ein großer Kreuzzug gegen die böhmischen Häretiker vorbereitet. Du legst den Eid ab und nimmst das Kreuz, dann lassen sie dich frei. Du kämpfst. Und wenn du dich im Kampf gegen das Schisma auszeichnest, wird dir deine Schuld vergeben.«
»Die Sache hat nur einen Haken.«
»Welchen?«
»Ich will nicht in den Krieg ziehen.«
Der Ritter drehte sich im Sattel um und sah ihn lange an.
»Und weshalb nicht?«, fragte er dann spöttisch.
Reynevan hatte keine Zeit mehr zu antworten. Ein tückisches Pfeifen und Zischen war zu hören, gleich darauf ein lautes Knacken. Hackeborn röchelte, griff sich mit beiden Händen an den Hals, in dem der Bolzen einer Armbrust steckte, der das Blech der Halsbrünne durchschlagen hatte. Blut strömte aus dem Mund des Ritters, der langsam nach hinten sank und vom Pferd stürzte. Reynevan sah die grenzenlose Verwunderung, die in den weit geöffneten Augen stand.
Dann geschah vieles sehr schnell.
»Überfaaall!«, schrie der Waffenknecht und riss das Schwert aus der Scheide. »Zu den Waffeeen!«
In den Büschen vor ihnen knallte es schrecklich, Feuer blitzte auf und Rauch ballte sich zusammen. Das Pferd eines Knappen fiel wie vom Blitz getroffen hin und begrub seinen Reiter unter sich. Die anderen Pferde bäumten sich auf der Hinterhand auf, in Panik versetzt durch den Schuss, stieg auch Reynevans Pferd. Der gefesselte Reiter verlor das Gleichgewicht, rutschte aus dem Sattel und kam schmerzhaft mit der Hüfte auf.
Aus dem Dickicht stürmten Reiter. Reynevan erkannte sie sofort, obwohl er zusammengekrümmt im Sand lag.
»Schlagt zu!, Tötet sie!«, brüllte Kunz Aulock, alias Kyrieleison, und fuchtelte mit dem Schwert herum.
Die Münsterberger Schützen ließen die
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