Narrenturm - Roman
Sterzendorf ist es ein gutes Stück Weges, warum sollst du hungrig reiten.«
»Besonders«, spottete der Kerl auf der rechten Seite, der ein Kettenhemd und eiserne Armschienen trug, »da sie dich in Sterzendorf gewiss nicht gleich füttern werden.«
»Und selbst wenn«, prustete der, der unsichtbar hinter ihm stand, »dann bestimmt nicht mit dem, was deinem Geschmack entspricht.«
»Wenn ihr mich gehen lasst . . . Ich bezahle euch . . .«, brachte Reynevan schließlich hervor. »Ich zahle euch mehr, als die Sterz’ euch geben.«
»Du beleidigst unseren Berufsstand«, sagte der Schnauzbärtige in der Brigantine. »Ich bin Kunz Aulock, genannt Kyrieleison. Man kann mich kaufen, aber nicht bestechen. Schluck deine Klöße, ruck, zuck!«
Reynevan aß. Die Mehlklöße hatten ihren Geschmack verloren. Kunz Aulock – Kyrieleison – stopfte seinen Streithammer, den er bis dahin in der Hand gehalten hatte, hinten in den Gürtel und zog die Handschuhe über.
»Du hättest dich nicht am Weib eines anderen vergreifen dürfen«, sagte er.
»Erst neulich«, fügte er hinzu, ohne eine Antwort abzuwarten, »habe ich einen Priester gehört, der besoffen aus einem Brief zitierte, an die Hebräer, glaub’ ich. Das ging so: Jede Übeltat kriegt ihre gehörige Strafe,
iustam mercedis retributionem.
Verständlich ausgedrückt heißt das, wenn du was ausgefressen hast, dann musst du auch die Konsequenzen dafür kennen und bereit sein, sie zu tragen. Da zum Beispiel, sieh mal zu deiner Rechten. Das ist Herr Stork von Gorgewitz. Der hat letzthin zusammen mit seinen Kumpanen einer Oppelner Bürgerinähnliche Liebesdienste erwiesen wie du, für die sie ihn, wenn sie ihn kriegen, mit Zangen zwicken und auf das Rad flechten werden. Na und? Sieh mal, wie bewunderungswürdig Herr Stork sein Los erträgt, wie stolz und schön von Angesicht. Nimm dir ein Beispiel.«
»Nimm dir ein Beispiel«, krächzte Herr Stork, dessen Gesicht mit Blatternarben und Triefaugen verziert war. »Und steh auf. Es wird Zeit, sich auf den Weg zu machen.«
In diesem Moment explodierte die Feuerstelle im Kamin, das Feuer spie mit einem entsetzlichen Knall Flammen, Funkenhagel, dichten Qualm und Ruß in die Stube. Der Kessel flog wie ein Geschoss umher, schepperte über den Fußboden und ergoss dort sein Gebräu. Kyrieleison sprang nach hinten, und Reynevan kippte mit mächtigem Schwung den Tisch auf ihn zu. Er stieß die Bank zurück und haute die Schüssel mit den restlichen Klößen Herrn Stork direkt auf sein blatternarbiges Maul. Mit einem Hechtsprung warf er sich gegen die Tür mit der Bastmatte. Einer der Kerle erwischte ihn am Kragen, aber Reynevan hatte seine Studienjahre in Prag verbracht, wo er in fast allen Schenken der Altstadt und der Kleinseite schon am Kragen gefasst worden war. Er bückte sich, schlug mit dem Ellenbogen zu, dass es krachte, riss sich los und sprang zur Tür. Er erinnerte sich an die Warnung und mied geschickt das Strohgebinde hinter der Schwelle.
Kyrieleison, der ihn verfolgte, wusste nichts von dem magischen Stroh, schlug unmittelbar hinter der Tür der Länge nach hin und schlitterte ungestüm durch den Schweinekot. Gleich hinter ihm stürzte Stork von Gorgewitz über das Gebinde, und auf den die ganze Welt verfluchenden Stork knallte der dritte Kerl drauf. Reynevan war bereits im Sattel seines bereitstehenden Pferdes, spornte es an und galoppierte immer geradeaus, quer durch Gärten, durch Beete mit Kohlköpfen, über eine Hecke aus Stachelbeersträuchern. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, hinter sich hörte er Flüche und das Quieken der Schweine.
Er war schon unter den Weiden in Höhe eines leeren Fischweihers, als er hinter sich Hufschlag und die Schreie seiner Verfolger vernahm. Statt um den Teich herumzureiten, sprengte er über den schmalen Damm. Ein paarmal blieb ihm fast das Herz stehen, als der Damm unter den Hufen seines Pferdes zu rutschen begann. Aber er schaffte es.
Auch die Verfolger wählten den Damm. Aber so viel Glück war ihnen nicht beschieden. Das erste Pferd hatte die Mitte noch nicht erreicht, als es laut wiehernd abglitt und plötzlich bis zum Bauch im Schlamm stand. Das zweite Pferd warf sich hin und her, seine Hufe brachten den Damm endgültig zum Einstürzen, und es geriet mit der Hinterhand in zähen Schlick. Die Reiter schrien und fluchten wild. Reynevan begriff, dass er die günstige Gelegenheit und die Zeit, die sie ihm verschaffte, nutzen musste. Er hieb seinem Grauschimmel die Fersen
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