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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Flößereigeschäft und ein noch größerer am Kleintransport auf dem Fluss, in dem sie sehr geschickt mit der Hanse konkurrierten. Die Hanse hatte es oderaufwärts nicht weiter als bis nach Breslau geschafft. Die Wasserpolen hingegen beförderten Waren bis nach Ratibor. Oderabwärts fuhren sie bis nach Frankfurt, Lebus und Küstrin, ja sogar   – unter Umgehung des strengen Frankfurter Stapelrechts mit unergründlichen Mitteln   – weiter flussabwärts bis hinter die Warthemündung.
    Von der Anlegestelle her wehte der Geruch nach Fisch, Schlamm und Teer.
    Mühsam brachte Reynevan sein lahmendes Pferd die rutschige, lehmige Böschung hinunter und näherte sich zwischen Hütten, Schuppen und zum Trocknen aufgehängten Netzen hindurch der Anlegestelle. Nackte Füße klatschten und hopsten über den Steg, das Ein- und Ausladen war im vollen Gange. Ein Teil der Waren, der hauptsächlich aus gegerbten Häuten und Fässchen unbestimmbaren Inhalts bestand, wurde von der Anlegestelle auf Wagen verladen, ein bärtiger Kaufmann überwachte den Ablauf. Auf eine der Schuten wurde ein Stier geführt. Der Bulle brüllte und stampfte, dass der ganze Steg wackelte. Die Flößer fluchten auf Polnisch.
    Ziemlich rasch beruhigte sich alles wieder. Die Wagen mit den Häuten und Fässern fuhren davon, der Bulle versuchte mit einem Horn den engen Verschlag zu öffnen, in den man ihn gesperrt hatte. Die Wasserpolen begannen wie üblich miteinander zu streiten. Reynevan verstand die polnische Sprache gut genug, um zu erkennen, dass es um nichts Ernsthaftes ging.
    »Segelt einer von euch, wenn man fragen darf, flussabwärts? Nach Breslau?«
    Die Wasserpolen unterbrachen ihren Disput und betrachteten Reynevan mit nicht gerade freundlichen Blicken. Einer spuckte ins Wasser.
    »Und selbst wenn, brummt er, was dann? Wohlmögender Herr Edelmann?«
    »Mein Pferd lahmt. Und ich muss nach Breslau.«
    Der Pole machte eine unwillige Gebärde, räusperte sich und spuckte erneut aus.
    »Na, wie steht es damit?« Reynevan gab nicht auf.
    »Ich fahre keine Deutschen.«
    »Ich bin kein Deutscher. Ich bin Schlesier.«
    »Aha?«
    »Aha.«
    »Dann sag doch mal: ›Soczewica, koło, miele, młyn.‹«
    »Soczewica, koło, miele, młyn.‹ Und jetzt sag du mal: ›Stół z powyłamywanimy nogami.‹«
    »Stół z powy . . . myła . . . wały . . .‹ Steig ein.«
    Reynevan ließ sich das nicht zweimal sagen, aber der Schiffer kühlte frech sein Mütchen an ihm.
    »Moment! Wohin? Erstens fahre ich nur bis Ohlau, zweitens kostet dich das fünf Schott. Für das Pferd zusätzlich fünf.«
    »Wenn du’s nicht hast«, ein zweiter Wasserpole, der sah, wie Reynevan mit betretener Miene in seinem Geldbeutel wühlte, mischte sich mit listigem Fuchslächeln ein, »dann kaufe ich dir das Pferd ab. Für fünf, na, sagen wir sechs Schott. Zwölf Groschen. Das reicht genau für die Fahrt. Und für ein Pferd, das du nicht bei dir hast, musst du nicht zahlen. Reiner Gewinn.«
    »Dieses Pferd«, widersprach Reynevan, »ist wenigstens fünf Mark wert.«
    »Dieses Pferd«, versetzte der Pole schlagfertig, »ist Scheiße wert. Denn du wirst auf ihm nicht dorthin gelangen, wohin es dich so schnell treibt. Na, wie ist es? Verkaufst du?«
    »Wenn du noch drei Schott für Sattel und Zaumzeug drauflegst.«
    »Einen Schott.«
    »Zwei.«
    »Einverstanden.«
    Pferd und Geld wechselten den Besitzer. Reynevan klopfte zum Abschied dem Grauschimmel den Hals, streichelte seine Mähne und schniefte, als er seinem Freund und Gefährten im Unglück Lebewohl sagte. Dann fasste er die Leine und sprang an Bord. Der Schiffer entfernte das Tau vom Poller. Die Schute erzitterte leicht und drehte langsam in den Strom. Der Bulle brüllte, die Fische stanken. Auf dem Steg betrachteten die Wasserpolen die Beine des Grauschimmels und begannen erneut zu streiten.
    Die Schute fuhr stromabwärts. In Richtung Ohlau. Das graue Wasser der Oder gluckste und schäumte um den Bord.
     
    »Herr!«
    »Was ist?« Reynevan war plötzlich wach und rieb sich die Augen. »Was ist, Schiffer?«
    »Ohlau voraus.«
    Von der Mündung der Stober in die Oder sind es bis Ohlau fast fünf Meilen.
    Eine solche Entfernung schafft eine mit dem Strom schwimmende Schute in nicht weniger als zehn Stunden. Vorausgesetzt, sie legt unterwegs nicht länger an und hat außer dem Segeln nichts anderes zu tun.
    Der Wasserpole, der Schiffer der Schute, hatte unentwegt zu tun. Auch über einen Mangel an Halten unterwegs konnte Reynevan sich

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