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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gott!«
    Über dem Fluss hob sich rasch der Nebel, die Schute verschwand allmählich. Reynevan warf sein Bündel über die Schulter.
    »Herr Schlesier!«, klang es vom Fluss.
    »Jaa?«
    »Stół z powyłamywanymi nogami!«

Sechstes Kapitel
    in dem Reynevan zunächst Prügel bezieht, sich dann aber in Gesellschaft von vier Männern und einem Hund auf den Weg nach Strehlen begibt. Die Eintönigkeit der Reise mildert ein Disput über die Häresie, die sich anscheinend wie Unkraut ausbreitet.
    A m Waldesrand, inmitten von grünem Knöterich, plätscherte im hellen Sonnenschein fröhlich ein kleiner Bach, der sich, von Weiden gesäumt, dahinschlängelnd seinen Weg suchte. Dort, wo die Schneise begann und der Weg aus dem Wald herausführte, verband eine Brücke aus groben Balken die Ufer des Bächleins, Balken, so schwarz, moosbedeckt und altertümlich, als stamme dieses Gebilde noch aus der Zeit Heinrichs des Frommen. Auf dem Brücklein stand ein Reisewagen, vor den eine dürre, braune Mähre gespannt war. Der Wagen neigte sich stark zur Seite. Man sah auch sofort, warum.
    »Das Rad«, stellte Reynevan fest, der gerade vorbeikam. »Da gibt’s wohl ein Problem?«
    »Ein größeres, als Ihr denkt«, antwortete eine junge, rothaarige, hübsche, wenn auch etwas füllige Frau und rieb sich mit teerverschmierter Hand die schweißbedeckte Stirn. »Die Achse ist gebrochen.«
    »Ha! Da geht es ohne den Schmied nicht weiter.«
    »Ei weh, ei weh! Der zweite Reisende, ein bärtiger Jude in einem bescheidenen, aber reinlichen und keineswegs ärmlichen Gewand, griff sich mit beiden Händen an seine Fuchskappe. Gott Isaaks! Was für ein Unglück! Weh uns! Was sollen wir tun!«
    »Ihr seid«, fragte Reynevan, dies aus der Richtung schließend,in welche die Deichsel wies, »nach Strehlen unterwegs?«
    »Ihr habt es erraten, junger Herr.«
    »Ich helfe euch, und Ihr nehmt mich dafür ein Stück mit. Wisst Ihr, ich muss auch in diese Richtung. Und auch ich habe Probleme . . .«
    »Es ist nicht gerade schwer, dies zu erraten.« Der Jude wackelte mit dem Bart, und seine Augen blitzten listig. »Dass Ihr ein Edelmann seid, junger Herr, das sieht man. Aber wo ist Euer Pferd? Ihr gedenkt, auf dem Wagen mitzufahren, obwohl Ihr doch kein Lancelot seid? Aber was soll’s, Ihr seht nicht aus wie ein schlechter Mensch. Ich bin Hiram ben Elieser, Rabbi der jüdischen Gemeinde von Brieg. Unterwegs nach Strehlen . . .«
    »Und ich«, fiel ihm die rothaarige Frau ins Wort, indem sie die Sprechweise des Juden nachahmte, »bin Dorothea Faber. Unterwegs in die ferne Welt. Und Ihr, junger Herr?«
    »Ich heiße«, antwortete Reynevan nach kurzem Zögern, »Reinmar Bielau. Hört zu, wir machen das so: Wir ziehen den Wagen irgendwie von der Brücke, spannen den Gaul aus, und ich reite mit der Achse geschwind nach Ohlau in die Vorstadt zum Schmied. Wenn es sein muss, bringe ich ihn mit. Machen wir uns also an die Arbeit.«
    Es zeigte sich, dass dies beileibe nicht einfach war.
    Dorothea Faber war keine große Hilfe, der betagte Rabbi überhaupt keine. Obwohl die dürre Mähre beharrlich ihre Hufe in die angefaulten Balken rammte und sich in das Kummet stemmte, brachten sie den Wagen kaum einen Klafter weiter. Reynevan allein hatte nicht die Kraft, das Vehikel anzuheben. Schließlich saßen sie alle neben der gebrochenen Achse und blickten schwer atmend auf die Gründlinge und Neunaugen hinunter, von denen es am sandigen Grund des Baches nur so wimmelte.
    »Ihr habt gesagt«, fragte Reynevan die Rothaarige, »Ihr zieht in die weite Welt. Wohin?«
    »Dorthin, wo ich mir mein Brot verdienen kann«, antwortetesie freimütig und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Einstweilen, da der Herr Jude so freundlich war, mich im Wagen mitzunehmen, mit ihm nach Strehlen, dann, wer weiß, vielleicht sogar bis nach Breslau. In meinem Metier finde ich zwar immer Arbeit, aber ich will es auch gut haben . . .«
    »In Eurem . . . Metier? Reynevan dämmerte es. Das heißt . . . Ihr seid . . .«
    »Genau. Ich bin . . . Wie nennt Ihr das doch . . . eine . . . öffentliche Sünderin. Bis vor kurzem im Hurenhaus ›Zur Krone‹ in Brieg.«
    »Ja, ich verstehe.« Reynevan nickte ernst. »Und Ihr seid zusammen gereist? Rabbi? Du? Du hast sie im Wagen mitgenommen . . . hmmm . . . eine Kurtisane?«
    »Warum hätte ich sie nicht mitnehmen sollen?« Rabbi Hiram machte große Augen. »Hab’ ich sie mitgenommen! Wär’ ich doch ein schrecklicher Knauser gewesen, junger Herr,

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