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Narrenwinter

Narrenwinter

Titel: Narrenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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hoffentlich bald wieder verzichten würde. Es war ihm sogar gelungen, mit dem elektronischen Navigationssystem zu kommunizieren. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen näherte er sich der gesuchten Adresse und wurde am Ziel auch noch von einer synthetischen Stimme willkommen geheißen. Nur die Parkplatzsuche blieb ihm selbst überlassen. Ich bin nicht gereist, dachte Käfer, ich bin gereist worden, nichts für mich.
    Er fand das Haus, suchte vergeblich nach Namensschildern und Klingelknöpfen, trat einen Schritt zurück und sah oberhalb der Tür eine kleine Tafel:
Wohnheim des bayerischen Asylvereins e.V
.
    Käfer klopfte, wartete, klopfte noch einmal, drückte die Klinke und trat ungehindert ein. Vor einer leeren Portierloge blieb er stehen. Es war sehr still hier, und es roch nach Putzmittel. Der graubraune Plastikboden glänzte wie lackiert, die Wände waren bis zur halben Höhe mit einem dunkelgrünen Schutzanstrich versehen. „Guten Tag, ist da jemand?“ Keine Antwort. Im Erdgeschoss fand Käfer eine Reihe versperrter Türen vor, einen Wirtschaftsraum, übervoll mit säuerlich riechender Schmutzwäsche und eine Art Sanitätszimmer mit vier Eisenbetten, einem Rollstuhl und einer Tragbahre.
    Er ging in den ersten Stock hinauf. Hier waren Namen an den Türen, die meisten mit Kreide aufs Holz geschrieben, kein Hennning Mertens darunter. Im zweiten Stock wurde Käfer fündig. An eine der Türen war ein Stück Papier geheftet:
Henning Mertens. Bitte eintreten ohne zu klopfen
.
    Käfer trat ein. Mertens saß lesend an einem kleinen Tisch, dicker als ihn Käfer von Fotos in Erinnerung hatte, die langen, grauen Haare mit einem Gummiband zu einem lächerlichen Schwänzchen gebunden. Er blickte unwillig auf. „Daniel Käfer, mein junger Freund. Wollen Sie hier einziehen, oder müssen Sie?“
    „Keins von beiden Herr Mertens.“
    „Dann scheren Sie sich zum Teufel.“
    „Ich bin froh darüber, Sie gefunden zu haben.“
    „Das wird sich rasch ändern. Gefällt es Ihnen hier?“
    „Nein, wirklich nicht.“
    „Aber mir gefällt’s. Da ist ein Sessel für Sie. Der äußere Anschein täuscht. Ich genieße den Aufenthalt in diesem ehrenwerten Haus. Einflugschneise des Münchner Flughafens übrigens. Die Flieger schaben förmlich mit den Bäuchen am Dachfirst. Etwas Geld habe ich noch. Und für alle diese gestrauchelten, gestrandeten, kaputten Existenzen hier bin ich eine Ehrfurcht gebietende Lichtgestalt. Das unterhält, macht stolz und froh. Und jetzt kommen ausgerechnet Sie und stoßen mich vom Götterthron.“
    „Wo sind die andern?“
    „Draußen. Tagsüber müssen die Zimmer leer bleiben. Nur godfather himself hat eine Ausnahmebewilligung. Warum sind Sie hier, Herr Käfer? Hübsche kleine Voyeursgeschichte über den sabbernden Restmenschen Mertens?“
    „Im Gegenteil. Ich brauche beruflich Ihre Hilfe.“
    Jetzt lachte Mertens. Er wieherte geradezu. „Weil Sie arbeitslos sind? Hab ich mitgekriegt. Und wie sollte ich Ihnen helfen? Von mir können Sie erfahren, wie man auf die Schnauze fällt. Nicht wie man aufsteht.“
    „Was ist denn damals wirklich passiert?“
    „Sie meinen die Kokaingeschichte? Da bin ich in die Falle eines lieben Feindes getappt, wie der letzte Idiot. Schnieke Fete, alle breit wie die Hamster, und dann zieht sich der Gastgeber eine Linie und lädt die anderen ein. Ich, der immer alles vom Leben wissen wollte, und zwar ohne fade Kompromisse, mache mit. Am nächsten Tag hat’s die Polente gewusst und sogar ein Erinnerungsfoto ist geschossen worden. Gut, Mertens, habe ich gedacht, dann machst du eben Nägel mit Köpfen und bringst deine Demontage selbst zu Ende, und zwar gründlich. Erst war’s spannend, dann recht unterhaltsam und am Ende nur mehr schäbig und peinlich. Blöderweise habe ich den Zeitpunkt für einen starken Abgang verpasst. Heute hat’s keinen Sinn mehr mit viel Theaterdonner aus dem Leben zu scheiden: Guckt ja kein Schwein.“
    „Üble Geschichte. Mir geht’s besser. Ich bin nicht mehr arbeitslos, Herr Mertens. Der Vertrag ist noch nicht unterschrieben, aber so gut wie. Kappus & Schaukal. Bruno Puntigam hat mich angeworben.“
    „Der? Ein genialer Dilettant, mein Lieber. Hat noch in jeder Position versagt und hat es sich jedes Mal verbessert damit. Kann Ihnen egal sein. Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie das hören wollten, und tschüss.“
    „Sie kennen mich, Herr Mertens. Ich bin ein passabler Schreiber und Redakteur. Aber mir fehlt Ihre Erfahrung in der Branche, ich

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