Narrenwinter
mir recht sein. Wie erreiche ich Sie?“
Mit entschuldigender Gebärde zog Schiller ein Handy hervor. „Nun trage auch ich diese elektronische Fußfessel bei mir, immerhin in Silber und Perlmutt gefasst. Bitte, notieren Sie … Wo ist eigentlich Henning Mertens?“
„In Frankfurt, meines Wissens.“
„Ah, sehr gut!“ Schiller wandte sich an Sabine Kremser. „Sie werden an diesem Tag noch Ihre Freude haben, fotografisch, meine ich. Die Flinserln sind wahre Zauberwesen.“
„Und diese, wie war das nur gleich … Bless?“
„Finstere Winterdämonen, aber ohne Macht, nur noch lästig. Übrigens vergleichbar mit den verbliebenen Schatten meines kruden Innenlebens. Doch ich sollte nicht schon wieder von mir reden. Also diese Flinserln … man sagt den Kostümen ja venezianische Ursprünge nach. Ich bin mir da nicht so sicher. Salz aus den Alpen konnte ja nur dort verkauft werden, wo es billiger als Meersalz war. Demnach sind die Ausseer Fuhrleute ganz gewiss nicht bis nach Venedig vorgedrungen. Andererseits könnte es durchaus Kontakte mit ihren Kollegen und Konkurrenten aus dem Süden gegeben haben. Jedenfalls aber ist dieses Brauchturm uralt. Bereits 1768 sollen erstmals Flinserln durch Aussee gezogen sein. Seitdem ist eigentlich alles beim Alten geblieben. Die Kinder mögen zu Hause ihre Computerspiele treiben – wenn sie gute Gaben der Flinserln erheischen, gelten immer noch die uralten Sprüche. Darf ich Sie mit einer Probe schlecht angelernter Ausseer Mundart erfreuen? Ja? Nun denn! Faschingtag, Faschingtag, kimm na bold wieda / Bold ma koa Geld nit ham / Stehl’n ma an Widda / Bold ma koan Widda kriag’n / stehl’n ma an Aar / drum san die drei Faschingtag / Gar so viel rar. – So halbwegs verstanden? Ein Aar ist eine junge Ziege und rar bedeutet lustig, eigentlich mehr als das, Faschingslaune eben. Die Flinserln präsentieren sich übrigens als eine bürgerliche Institution. Ihre Kostüme sind dermaßen teuer und aufwändig in der Herstellung, dass sie über Generationen in den Familien vererbt werden. Nun denn, liebwerte Frau Kremser, geachteter Herr Käfer …, ich muss jetzt weiter, mich nützlich machen, sofern das an einem Tag wie diesem möglich ist.“
„So, Sabine, es ist wieder einmal so weit: Du arbeitest ernsthaft, und ich werde so tun, als ob.“
„Wird auch wieder anders herum sein.“ Sie griff zur Fototasche. „Außerdem freue ich mich auf diesen Nachmittag, nach allem, was ich gehört habe.“
„Noch was, Sabine: Vergiss nicht, auch nach Ebenseer Fetzen Ausschau zu halten – vielleicht ein reizvoller Kontrast. Und dann gibt es noch einen recht jungen Brauch heute, die Fischer. Sie verteilen ihre Süßigkeiten mit Angeln. Da muss ein Kind ganz schön flink und geschickt sein, um etwas zu erhaschen – und wer Pech hat, erwischt einen Rollmops.“
„Noch was?“
„Ja. Ich bin süchtig nach dir, Sabine. Letztes Stadium, führt unmittelbar in die chronische Zweisamkeit, lebenslang bis zum Tode.“
„Musst du denn immer übertreiben?“
„Also, ich find’s ganz normal. Außerdem bist du mir noch eine Antwort auf meine Gutenacht-Geschichte schuldig.“
„Bin ich das?“ Sie küsste ihn auf die Nasenspitze. „Muss ich doch glatt verschlafen haben.“
Schon jetzt waren viele Kinder unterwegs. Gelächter und fröhlicher Lärm überall. Nach dem Chaos des Maskentreibens und dem schweren Zeremoniell der Trommelweiber war die Stimmung merklich anders geworden. Um die Mittagszeit hatte die Sonne an Kraft gewonnen, und im tief verschneiten Aussee war ein Hauch Frühling zu spüren. Käfer stiefelte guter Dinge durch den Kurpark, wich einer Schneeballschlacht aus und blieb dann überrascht stehen, als er von der Bahnhofstraße her Musik und Trommelschläge hörte. Ach so …, die Arbeiter-Trommelweiber! Er ging dem Zug entgegen. Anders als tags zuvor fehlte die fast schon bedrohliche Wucht. Die weiß gekleidete Schar war aber nicht minder eindrucksvoll, wohl kleiner, doch von feierlicher Strenge. Käfer hörte eine Weile zu, dann ging er über den Kurhausplatz weiter in die Hauptstraße, wo die hohen alten Bürgerhäuser standen. Halb unbewusst summte er den Faschingsmarsch, und irgendwann drang wie ein ferner Widerhall die gleiche Melodie an sein Ohr. Doch sie klang anders, als er sie bisher gehört hatte, leichter, beschwingter, zierlicher.
Er folgte den Kindern, die zu laufen begonnen hatten, und dann sah er sie, die Flinserln: Weibliche und männliche Gestalten in
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