Naschkatze
umrahmt, das mich eindringlich anstarrt.
»Was bedeutet das?«, will Madame Henri wissen. »Heute haben wir keine Termine.«
»Oh, eine Freundin!«, rufe ich hastig, laufe zur Tür und öffne sie, um Jill hereinzulassen.
Erst jetzt entdecke ich die schwarze Limousine mit Chauffeur und getönten Fenstern und laufendem Motor neben dem Hydranten. Und hinter Jill steht ein großer, athletisch gebauter Mann, den ich sofort erkenne...
»Oh!« Madame Henri lässt ihre Tasche fallen und presst beide Hände an die Schläfen. Auch sie erkennt Jills Begleiter. Kein Wunder. Oft genug ist sein Foto auf der Titelseite der Post erschienen.
»Eh – guten Abend«, grüßt Jill, die Wangen von der kalten Luft gerötet, eine Kleidertasche in der Hand. »Sie sagten, ich soll mal vorbeischauen, Lizzie. Ist das ein ungünstiger Zeitpunkt?«
»Nein, nein«, beteuere ich, »kommen Sie nur herein.«
Das Paar tritt aus dem leichten Schneetreiben, das vorhin eingesetzt hat, in den Laden. Auf den Haaren und Schultern der beiden glitzern die Flocken noch intensiver als alle Kristalle, die ich jemals auf irgendwas genäht habe. Sie bringen den Geruch von Winterkälte und Gesundheit – und noch etwas anderem mit.
»Tut mir leid.« Jill rümpft die Nase. »Das bin ich . Nach der Arbeit habe ich mich nicht umgezogen. Dafür hab ich mir nicht die Zeit genommen, weil wir den Verkehrsstau wegen des Weihnachtsbaums vermeiden wollten.«
»Dieser berauschende Duft, den Sie sicher wahrnehmen, stammt von Robbenexkrementen«, erklärt John MacDowell. »Keine Bange, man gewöhnt sich daran.«
»John, mein Verlobter«, stellt Jill ihn vor. »John, das ist Lizzie.«
Lächelnd streckt er eine große Hand aus, die ich schüttle.
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Das meint er offenbar ernst. »Jill hat mir von Ihnen erzählt. Hoffentlich werden Sie uns helfen. Meine Mutter – gewiss, ich liebe sie, aber …«
»Sagen Sie nichts mehr«, unterbreche ich ihn. »Wir verstehen, worum es geht. Glauben Sie mir, wahrscheinlich mussten wir schon heiklere Probleme lösen. Darf ich Sie mit Monsieur Henri bekannt machen, meinem Chef? Der Laden gehört ihm. Und das ist seine Frau, Madame Henri. Monsieur, Madame – Jill Higgins und ihr Verlobter, John MacDowell.«
Monsieur Henri hat in der Nähe gestanden und uns entgeistert angestarrt. Als ich seinen Namen nenne, tritt er hastig vor und reicht Mr. MacDowell seine Hand. » Enchanté. Oh, ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir.«
»Freut mich auch, Sie kennenzulernen«, sagt John MacDowell höflich.
Madame Henri fällt beinahe in Ohnmacht, als er sie ebenso liebenswürdig begrüßt. Seit das Brautpaar den Laden betreten hat, hat sie keinen Laut mehr von sich gegeben.
»Wollen wir mal sehen, was Sie hier haben?«, schlage ich vor und nehme Jill die Kleidertasche ab.
»Lassen Sie sich warnen«, seufzt John. »Es ist schlimm.«
» Sehr schlimm«, fügt Jill hinzu.
»Nun, wir sind an Katastrophen gewöhnt«, versichert Monsieur Henri den beiden. »Deshalb werden wir von der Association of Bridal Consultants empfohlen.«
»Ja, das stimmt«, bestätige ich ernsthaft. »Außerdem wurde Monsieur Henri vom National Bridal Service belobigt.«
Bescheiden neigt Monsieur Henri den Kopf und tritt hinter Jill, um ihr aus dem Parka zu helfen. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Oder Kaffee?«
»Danke, nicht nötig«, erwidert John und reicht ihm seinen eigenen Parka. »Eigentlich wollten wir nur...«
Abrupt verstummt er, weil ich inzwischen die Kleidertasche geöffnet habe. Und dann starren wir alle fünf das Brautkleid an, das ich herausnehme.
Monsieur Henri lässt fast die Parkas fallen. In letzter Sekunde tritt Madame Henri zu ihm und fängt sie auf.
»Oh – wie abscheulich«, flüstert Monsieur Henri, glücklicherweise auf Französisch.
»Ja«, stimme ich zu, »aber man kann das Kleid retten.«
»Unmöglich.« Leicht benommen schüttelt er den Kopf.
Warum er das behauptet, erkenne ich auf den ersten Blick. Besonders vielversprechend sieht das Kleid nicht aus, um es gelinde auszudrücken. Aus vielen Metern zweifellos wertvoller antiker Spitze über cremefarbenem Satin, prinzessförmig geschnitten, mit einem voluminösen Rock, noch umfangreicher durch einen großen Reifen, im Saum eingenäht, einem typischen Queen Anne-Ausschnitt und riesigen Puffärmeln, mit Schleifen im Schottenkaromuster an den Handgelenken... Über dem Rock bauschen sich Tartanrüschen, gehalten von goldenen
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