Naschmarkt
lachend – das Sortiment der Boutique in kleine, ungefährliche Stofffetzen zerschnitt, auf denen ich genüsslich herumtrampelte, während die Bodyguards die Angestellten mit Rufen wie »Haltet die Maßbänder im Zaum, ihr Modepuppen« in Schach hielten.
»Dotti, träumst du schon wieder?«
Rita warf noch mehr Kleidungsstücke über die Tür der Kabine.
»Bist du bald fertig?«, nörgelte Christine.
Als die Verkäuferin zum fünften Mal nachfragte, ob wir endlich etwas gefunden hätten, und dabei das ganze Gesicht in dicke Mopsfalten legte, entschied ich mich spontan für das, was ich eben anhatte, um das Drama zu beenden. Das war ein Fehler. Denn es schien in der gesamten Wiener Innenstadt kein Paar Schuhe zu geben, das zu dem speziellen Granny-Smith-Grün des Kostüms passte, das Alien-Barbie erworben hatte. Erst in der teuersten Boutique, in der schmalsten, verstecktesten Gasse hinter dem Stephansdom wurden wir fündig. Ich kaufte zähneknirschend Granny-Smith-grüne Pumps mit beunruhigend hohen Absätzen zum Preis einer Wagenladung Katzenfutter und hastete nach Hause.
Ausstaffiert wie ein polierter Apfel und mit Unmengen an Silberschmuck behängt, saß ich einige Stunden später im Café Tirolerhof und wartete auf Geraldo. Als Erkennungszeichen hatten wir Operngläser vereinbart. Ich kam mir ziemlich bescheuert vor, wie ich so im Kaffeehaus saß und den uralten perlmuttverzierten Operngucker meiner Mutter in der rechten Hand hielt. Mit der Linken blätterte ich im
Österreichboten,
um mir die Zeit zu vertreiben. Ich war zu früh dran. Ich bin meistens zu früh, das ist meine ganz persönliche Überpünktlichkeitsdiarrhö. Dabei hatte Rita mir extra noch geraten, gute fünf Minuten zu spät zu kommen, um mir den Auftritt nicht zu vermasseln.
»Welchen Auftritt?«, hatte ich gefragt. »Der etwas zu grüne Wald von Dunsinan steigt die Stufen empor?«
»Herr der Ringe?«,
fragte Rita irritiert.
»Macbeth«,
antwortete ich.
»Dotti, in all der Zeit, die du Shakespeare gelesen hast, hatte ich Sex.«
»Na, hoffentlich bist du da nicht immer fünf Minuten zu spät gekommen.«
Fünf Minuten zu früh, ohne Auftritt, sah ich mich im Café um. Niemand der Anwesenden entsprach dem Profilfoto bei
Literally in Love.
Etwa achtzig Prozent der Kaffeehausbesucher war jenseits der siebzig, die anderen zwanzig Prozent waren Intellektuelle in Rollkragenpullovern oder Pullundern, die riesige Zeitungen lasen. Einer mit besonders großflächigen Brillengläsern schien mich zu beobachten, verschwand aber nach kurzer Musterung wieder hinter seinem Journal. Seufzend las ich die Gesellschaftsseite des
Österreichboten,
um mich abzulenken. Dabei blieb mein Blick an einem Artikel von Beatrice Kleidermann hängen, und der Schock war so groß, dass ich beinahe meine Kanne mit Rooibostee umgestoßen hätte.
Das Mauerblümchensyndrom
stand in fetter Schrift über dem Foto von drei alten, dicken Frauen, die wie aufgefädelt nebeneinander auf einer Parkbank saßen. Mit angehaltenem Atem las ich den Text darunter.
QUICKIE : Schön einsam!
Im Trend sind derzeit die sogenannten freiwilligen Singles. Menschen, die sich bewusst dafür entscheiden, keine Beziehung zu haben, sich stattdessen mit mehr oder weniger exotischen Haustieren umgeben und den Psychiater bereits zum engeren Familienkreis zählen. Der biologisch unnatürliche Zustand der Kinder- und Partnerlosigkeit führt dazu, dass Ersatzbefriedigung gesucht wird. Shoppingwahn, übertriebener Ehrgeiz im Job, Fettsucht und Sammelleidenschaft an der Grenze zum Messietum sind nicht selten die Folge.
Sind vielleicht die glücklichen Singles unserer Gesellschaft nichts anderes als frustrierte Übriggebliebene, die sich ihren Zustand schön-kaufen, schön-schuften oder schön-essen?
Ich las den Artikel dreimal, viermal, fünfmal und konnte es nicht glauben, dass der Text gedruckt worden war, für ganz Österreich lesbar und offensichtlich. »Dotti Wilcek, diese frustrierte Übriggebliebene«, dachte bestimmt das gesamte Land. Nun würde die Bundeshymne endgültig umgeschrieben werden müssen:
Heimat bist du alter Jungfern, frigider Singles und depressiver Frustfresserinnen.
Ich studierte das Foto der drei dicken Damen. Eine von ihnen, die links außen, hatte etwas in der Hand. Nur was? Ein Foto? Hastig blickte ich durch das Opernglas und drehte an dem kleinen Rädchen, um die Schärfe einzustellen. Da! Wütend schnaufte ich die Zeitung an. Bei der Fotografie, die die fette Tante Nummer
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