Naschmarkt
eins in ihren Wurstfingern hielt, handelte es sich um exakt jene grässliche Fotomontage aus Topmodelbrüsten und meinem Schädel, die seit Beginn der Woche die Anzeigen von
Literally in Love
zierte.
»So ein Biest!«
»icherzählerin?«
»Wie bitte?«
Ich hob das Opernglas und blickte in ein Paar überdimensional vergrößerte blaue Augen. Mit einem Aufschrei ließ ich das Glas fallen. Der Mann vor meinem Tisch konnte es gerade noch auffangen.
»Bist du nicht ganz bei Sinnen? Das ist ein wertvoller Kunstgegenstand.«
Wie zur Unterstreichung seines Standpunktes hielt er es neben sein eigenes Opernglas und grinste mich mit blitzend weißen Zähnen an. So lernte ich Geraldo kennen und
nicht
lieben.
Das ist untertrieben. Ich konnte ihn vom ersten Augenblick an nicht ausstehen. Geraldo ist, wie er mir mehrfach unter die Nase rieb, ein wohlerzogenes Einzelkind. Seine übersichtliche, kompakte Intelligenz unterstrich er nicht etwa mit einer Nickelbrille, sondern indem er farbige Kontaktlinsen trug, die seinen Pupillen einen unnatürlichen Fischschuppenglanz gaben. Überhaupt steckte hinter seiner hübschen Ausstattung – dem schicken Smoking, der modisch violetten Krawatte und dem gegelten Lackaffenhaarschnitt – ein oberflächlicher Snob von optisch beeindruckender Durchschnittlichkeit. Sein richtiger Name lautete Gerald Sowinetz, aber in seiner »Stehplatz-Clique«, wie er das sonderbare Nerd-Grüppchen nannte, zu dem er gehörte, wurde jeder Name italienisiert.
»Wusstest du, dass Dotti ein relativ häufiger italienischer Nachname ist?«, erklärte er mir, während er in seiner Melange rührte. »Wenn wir zwei heiraten sollten, habe ich kein Problem, deinen Namen anzunehmen. Geraldo Dotti! Wie das klingt.«
»Ich bedaure, dass unsere Ehe von Anfang an unter keinem guten Stern steht. Dotti ist mein Vorname. Ich heiße W…Wagner.«
Fast hätte ich meinen Realnamen verraten. Wie datinguntauglich kann man sein?
»Wagner?«
Ich vermute, das war der Moment, in dem ich auf Geraldos Liste emporkletterte. Jene Liste, die er als iPhone-App ständig dabeihat und auf der die aktuelle Rangfolge seiner pBps (potenziellen Beziehungspartnerinnen) präzise vermerkt ist. Ich lag ja zu Beginn nur im Mittelfeld, gestand er mir, hinter so außergewöhnlichen pBps wie blondine 80 D, schnuckelchen und primadonna 33 .
»Wagner«, schwärmte er sofort, »wie mein Lieblingskomponist. Der große Richard Wagner. Bist du zufällig mit ihr verwandt?«
Ich verneinte. »Wagner ist in Wien recht verbreitet.« Das kostete mich sicher wieder die Top-drei-Plazierung.
Geraldo beugte sich über den Tisch zu mir, sah mir tief in die Augen, öffnete den Mund und hauchte: »Dotti Wagner, ein wunderhübscher Name.«
Fünf Wörter, elf Silben, die in einer Geruchswolke auf mich prallten, deren Zusammensetzung man mit Kuhfladenknoblauchshrimps beschreiben kann. Meine Mundwinkel verkrampften sich beim Versuch, mir nichts anmerken zu lassen, während ich mich darauf konzentrierte, nicht mehr durch die Nase zu atmen. Geraldo schien sich seiner Ausdünstungen nicht bewusst zu sein, denn wenn er sprach, öffnete er die Lippen so weit, dass sich die Mischung aus der Grotte besonders gut verbreiten konnte.
Bei Männern, das hat mir Lady Lydia schon beigebracht, als ich zwölf war, gibt es die akzeptablen und die nichtakzeptablen Trollattribute. Lautes Schnarchen, zu üppige Körperbehaarung, rauer Bartwuchs und an Umfang stetig zunehmender Bauch sind von der akzeptablen Sorte. Zwar nicht angenehm, aber man kann damit leben, wenn die positiven Eigenschaften überwiegen. Völlig inakzeptabel ist hingegen jede Form der Geruchsbelästigung. Sauer riechender Schweiß, lästiger Mundgeruch und exzessives Furzen sind Beziehungs-No-Gos.
Ich muss an Paul denken, meinen Ex, der stets mit Deodorant, Aftershave, Mundwasser, Zahnseide, Bodylotion und feuchtem Toilettenpapier bewaffnet verreiste. Alle Arten von natürlichem Körpergeruch waren ihm verhasst. Er aß nur Speisen ohne Knoblauch oder Zwiebel. In einem kleinen, sauteuren Café bei der Rialtobrücke in Venedig hatte ich einmal einen Heißhunger auf Spaghetti aglio e olio entwickelt. Die rochen schon auf dem Weg von der Küche zum Tisch so, als hätten etwa dreißig Knoblauchzehen ihr Gemüseleben lassen müssen. Den Rest des Tages zwang mich Paul, Tic Tac zu lutschen, bis meine Zunge ganz taub war.
Pfefferminzgeschmack und das Geräusch von Wellen am Bug des Vaporetto.
Mein Herz begann, schneller zu
Weitere Kostenlose Bücher