Naschmarkt
Kinofilm in meinem Kopf ist ein Western, und alles beginnt mit ein paar Notenblättern, die von einem fiesen Wind durch die Gänge des Opernhauses geweht werden. Die elektrostatische Aufladung der Luft entlädt sich, die Notausgangslichter beginnen zu flackern, und ich erwarte den feindlichen Supergau mit geblähten Nüstern. Aber die Luft ist rein. Es sieht also ganz danach aus, als hätte ich ihn abgehängt. Mein Puls rast immer noch.
Das allererste Blind Date meines Lebens begann schon am Vormittag. Da wurde ich nämlich von meinen Freundinnen zu einer Shoppingtour durch die Kärntner Straße verdonnert, nachdem die via Skype einberufene Krisensitzung am vergangenen Abend nicht zu ihrer Zufriedenheit abgelaufen war.
»Was willst du überhaupt anziehen«, fragte Rita, die gerade ihre Fingernägel mit knallrotem Lack verunstaltete und zu einer CD von Wolfgang Petry absackte. Dank der technischen Errungenschaft Videotelefonie hat man heutzutage am geheimen Leben der anderen live teil. Datenvolumen sowie Peinlichkeiten sind unbegrenzt.
»Die schwarze Hose kombiniert mit dem dunkelgrünen Blazer, wie immer«, antwortete ich und posierte im Blazer vor dem Computer.
»Hübsch«, befand Katharina.
Neko riskierte ein müdes Auge, und Christine, damit beschäftigt, eines ihrer Aquarien zu säubern, stöhnte auf. Im Gegensatz zu Rita, die mich seit der Schule kennt, ist Christine immer noch verblüfft über so viel Ignoranz gesellschaftlichen Konventionen gegenüber. Als ich sie vor zehn Jahren auf einer Unidemo kennengelernt habe, wollte sie Schildkrötenforscherin auf den Galapagosinseln werden, doch ihre Eltern verlangten eine klassische Ausbildung. Sie rächte sich, indem sie alibihalber Theaterwissenschaften studierte, nebenbei Gesangsunterricht nahm und schließlich Musicaldarstellerin wurde.
Klassisch,
hatte es geheißen. Es ist mir ein Rätsel, wie man tagaus, tagein Andrew Lloyd Webber singen und bei Verstand bleiben kann.
»Das kannst du vergessen«, säuselte sie mit ihrer Mezzosopranstimme. »Das ist eine Premiere in der Wiener Staatsoper, Dotti, keine Slytherin-Convention für
Harry-Potter
-Nerds.«
»Selber Nerd«, konstatierte Katharina beleidigt.
»Was habt ihr gegen meinen Blazer?«
»Nichts. Sag ihm, er muss sich keine Gedanken machen. Er kann zurück in die Grotte.«
»Wenn du bei deiner
Recherche
erfolgreich sein willst«, sagte Rita und fächelte mit der lackierten Hand im Takt vor ihrer Kamera herum, »dann musst du dich schon schicker ausstaffieren.«
»Mein Blazer
ist
schick. Mit fettem I-Punkt, meine Liebe.«
Das ist gelogen. Kleidung ist bekanntermaßen ein ewiges Thema in meinem Leben. Wenn Lady Lydia mir Blusen in Farben schenkt, die angeblich meinen Teint vorteilhaft betonen, hat das bereits zu dem einen oder anderen weihnachtlichen Debakel geführt. Die Wahrheit ist: Ich will meinen Teint nicht betonen. Kleidung hat eine verhüllende und eine wärmende Funktion. Darüber hinaus fehlt mir offensichtlich jenes weibliche Gen, das lange Aufenthalte in grässlichen Modesalons erträglich macht.
Ein solch unmenschlicher Ort, genauer eine winzige, hellerleuchtete und von Fahrstuhlmusik beschallte Umkleidekabine wurde mir jedoch am herrlichsten Samstag-Lesevormittag von Rita und Christine zugeteilt. Dort probierte ich gottergeben ein unbequemes Kleidungsstück nach dem anderen an. Ich kam mir vor wie eine eins sechzig kleine Barbie aus einem weit entfernten Universum. Die zunehmend genervte Verkäuferin zog sich bald hinter den Tresen des Shops zurück und warf uns nur hin und wieder feindselige Blicke zu.
Schweißüberströmt knöpfte ich Blusen, zupfte Röcke, zippte Kleider und schnürte Mieder, während ich eine gewaltige Sehnsucht nach einem Ort mit Freikörperkultur entwickelte. Inklusive einer Gruppe eingeölter Bodyguards, die mir bösartige Kleidungsstücke vom Leib halten würden. Ich bekam kaum Luft und erste klaustrophobisch bedingte Hautrötungen an meinem Hals. Christine, die ihrerseits genervt von einem Bein auf das andere hüpfte, weil sie viel lieber im Aquaristikshop vorbeigeschaut hätte, trug nicht zu meiner Entspannung bei. Rita wiederum war total in ihrem Element. Sie huschte zwischen den Kleiderständern herum und brachte mir jedes premierentaugliche Stück, das in meiner Größe vorrätig war. Kein einziges davon konnte ich leiden. Inbrünstig stellte ich mir vor, wie ich eine frischgeschliffene Schere zückte wie ein Polizist seine Dienstwaffe und – irre
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