Naschmarkt
hungrig ist, und bekommt daraufhin einen Napf mit sorgfältig ausgewähltem, richtig temperiertem, hochwertigem, nach biologischen und ökologischen Kriterien einwandfreiem Katzenfutter, dessen Anschaffungspreis dem eines hochkarätigen Schmuckstückes entspricht. Anschließend steckt er die Nase hinein, nimmt einen Bissen, schmatzt ausgiebig, wie ein Weinkenner beim Verkosten in der Vinothek, und schenkt mir einen traurigen Blick, der mich an den des Prüfers nach meiner Fahrprüfung erinnert.
»Sie beherrschen zwar theoretisch die Technik, Frau Wilcek, aber lenken Sie um Gottes willen nie ein Fahrzeug, außer vielleicht in einem Autoscooter.«
In den seltensten Fällen folgt darauf das Leeren von besagtem Napf durch besagten Kater. Entsprechend feierlich werden Leere-Schüssel-Tage begangen und präzise im Kalender vermerkt. Meist nimmt er ein paar Bissen, immer an der tiefsten Stelle, wodurch einzelne Brocken dekorativ über den Rand hinausrutschen, um sofort, mit gekränkter Miene, davon abzulassen. Ab und zu – das sind die erfreulichen Tage – findet er das Futter passabel genug, um sich bis über die Barthaare zu bekleckern. Aber oft hat er schon nach dem ersten Bissen die Schnauze voll. An solchen Tagen ist es besser, das Haus nicht zu verlassen, die Jalousien zu schließen und unter keinen Umständen zu öffnen, wenn es an der Tür läutet. Ich weiß, wovon ich rede.
Gerade als ich den Napf mit einer Pampe namens
Junghühnchensoufflé mit Freilandei an biologischen Gartenkräutern
fülle, klingelt mein iPhone. Nachdem musikalische Ruftöne nicht in Frage kommen, habe ich meinen Kontakten Alltagsgeräusche zugeteilt, an denen ich sie einwandfrei identifizieren kann. Entsprechend warnt mich jetzt das hohe Ding-Ding eines Löffels, der gegen eine Teetasse schlägt – Lady Lydia!
»Ja?«
Ich klemme mir das Gerät zwischen Schulter und Ohr, um den Futternapf in der Halterung, die für den korrekten Fresswinkel sorgt, plazieren zu können.
»Darling«, flüstert Lady Lydia, »wir haben schlechtesten Käse.«
Ich frage mich manchmal, wie meine Mutter mit Menschen kommuniziert, die sie nicht seit über dreißig Jahren kennen.
Worst Case
bedeutet auf Englisch, dass die Dinge schlimmstmöglich stehen. Nachdem Lady Lydia Käse nicht ausstehen kann, benutzt sie diese Formulierung oft und gern, um mir mitzuteilen, dass die Kacke am Dampfen ist.
»Was ist passiert?«
»Sheila Sheridan hat abgesagt.«
Verdammte Scheiße! Der
Afternoon Tea.
Ich habe völlig vergessen, dass heute der traditionelle Literaturtee im
Lady’s Pies & Pages
stattfindet. Einmal im Monat, sonntags, finden sich etwa zwei Dutzend ältere Damen, alles Kundinnen meiner Mutter, zu einem original englischen
Afternoon Tea
im Lokal ein. Es können Teesorten verkostet werden, meine Mutter reicht Gurkensandwiches, serviert ihre stadtbekannten Mince Pies zu und macht Werbung für ihre Kochkurse. Dazu gibt es eine Lesung, meistens aus einer kitschigen Liebesschnulze, die in Cornwall spielt, untermalt von Lautenklängen.
»Dotti«, flüstert meine Mutter, »bist du noch dran?«
»Ja«, flüstere ich zurück, »aber warum flüstern wir?«
»Es sind Gäste präsent.«
Ich will einen Blick auf meine Uhr werfen, stelle jedoch fest, dass sie sich nicht an meinem Handgelenk befindet. Ich nehme das Handy vom Ohr, um darauf die Zeit zu checken. Mist. Ich habe noch genau dreißig Minuten, um zu duschen, meinen schmerzenden Hintern in ein passables Outfit zu quetschen und auf blasenversehrten Füßen zum
Pies & Pages
zu humpeln. Denn, wenn es etwas gibt, das meine Mutter absolut nicht toleriert, dann ist es sträfliches Fehlen beim
Afternoon Tea
.
»Mummy, ich weiß wirklich nicht, ob ich heute …«
»Hast du mir nicht zugehört?«, zischt sie.
»Ich …«
»Sheila Sheridan hat
abgesagt.
Ist das zu glauben? Eine Stunde vor ihrem Auftritt.«
Sheila Sheridan heißt im echten Leben Evelyn Scherkovski und ist die Zahnärztin meiner Mutter. Unter ihrem eindrucksvollen Pseudonym veröffentlicht sie grauenhafte Romantikkurzgeschichten und schreibt seit zwanzig Jahren an ihrem ersten Roman. Immer, wenn ich zur Zahnkontrolle muss, werde ich genauestens über Plot, Figuren und Settings des zukünftigen Bestsellers informiert, während Dr. Scherkovski Zahnstein entfernt. Aufgrund einer undurchsichtigen Abmachung, die etwas mit den Kosten für Lady Lydias letzte Rundumgebisserneuerung zu tun hat, darf »Sheila Sheridan« ihre literarischen Ergüsse von
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