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Nasenduscher: Roman (German Edition)

Nasenduscher: Roman (German Edition)

Titel: Nasenduscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Boltz
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stellt der sich an. Das ist doch ohnehin alles nur Show. Fürs Fernsehen. Ich kenne scharfe Gerichte vom Asiaten. Bisschen Jucken im Hals und gut.
    Ich nehme mein Gericht, verziehe mich nach draußen an einen freien Stehtisch und schiebe mir das erste Wurststück hinein. Kauen, schlucken … nix. Also gleich die Stücke zwei und drei hinterher. Kauen, schlucken … nix.
    »Was der für ein Aufhebens darum gemacht hat«, nuschele ich vor mich hin und stecke mir noch ein Stück in den Mund, »das ist doch alles halb so …«
    Ich schweige. Denn das Dumme bei diesen scharfen Speisen ist ihre verzögerte Wirkungsweise. Erst jetzt, nach einigen Sekunden, entfaltet die Schärfe auf den Geschmacksknospen ihre wahre Vielfalt. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es noch meine Geschmacksknospen sind oder es bereits mein Kieferknochen ist, der sich schmerzhaft meldet. Ich kaue noch ein letztes Mal, dann frisst sich irgendwas Undefinierbares wie ein geschmolzener AKW -Brennstab durch alles, was ihm in den Weg kommt. Zunge, Zahnfleisch, Zähne, Kiefer … alles. Für eine weitere Millisekunde verharre ich still und hege noch die Hoffnung, dass der Schmerz nachlässt. Doch der Fakir in meinem Mund hat gerade erst mit seiner Show begonnen. Bei jedem Schluckvorgang nagelt er weitere tausend Spitzen in meinem Mund, sodass mir die Zunge schmerzhaft anschwillt und mir der letzte Wurstbissen aus dem Mund zurück auf den Pappteller fällt. Da gerade keine hundertfünfzig Badewannen bereitstehen, schütte ich mir einen Schluck Cola in den Rachen, was genau das zur Folge hat, was Godfather mir prophezeit hat. Der Fakir verharrt für einen winzigen Moment, doch gleich ist er wieder da. Und nicht nur das. Er hat zur Unterstützung noch seine Verwandtschaft mitgebracht. Sein Bruder, der Pyromane, beginnt augenblicklich damit, an meinem Kehlkopflappen eine Handvoll Brandherde zu zünden. Direkt hinter ihm betritt Nummer drei der Familie die Manege des Grauens: der Feuerschlucker. Dieser steht seinen beiden Vorgängern in nichts nach und bläst mir zur Begrüßung erst mal eine Runde Napalm durch den Rachen.
    Nageln, Feuer, Napalm, Nageln, Feuer, Napalm …
    Die Familie hält zusammen und gibt nun richtig Vollgas.
    Nageln, Feuer, Napalm, Nageln, Feuer, Napalm …
    Mir wird schwindelig.
    Nageln, Feuer, Napalm, Nageln, Feuer, Napalm …
    Meine Ohren beginnen zu pfeifen.
    Nageln, Feuer, Napalm, Nageln, Feuer, Napalm …
    Ich bin ein einziger Tinnitus, und es gibt nur noch einen Gedanken: Ich möchte eine Kakaostaude sein.
    Mit letzter Kraft schleppe ich mich wieder nach innen, wo ich bereits erwartet werde. Die Profis haben mich allem Anschein nach die ganze Zeit über durch die Scheibe beobachtet. Mein Mund versucht den Begriff KAKAO zu formen, doch meine geschwollene Zunge bringt lediglich die letzte Silbe hervor und stößt ein brennendes AU aus.
    »Kakao?«
    Ich nicke.
    Der Godfather höchstpersönlich schiebt mir die Kakaoflasche zu, zuckt entschuldigend mit den Schultern und reicht mir die Tablette.
    »Ich hatte dich gewarnt.«
    »Ich weiß«, krächze ich.
    Ich liebe es, Schulkind zu sein, und meine Hände krampfen sich um die Kakaoflasche. Mit einem einzigen Zug verleibe ich mir den kompletten Inhalt ein. Der Godfather schaut mich nicht gänzlich ohne Spott an und kann anscheinend Gedanken lesen.
    »Noch einen Kakao?«
    Ich nicke erneut, und eine weitere Flasche findet ihren Weg zu mir. Auch die Tablette werfe ich nun ein, und wenig später geht sie mit dem Kakao in meinem Bauch eine Allianz des Löschens ein. Der Fakir mitsamt seiner buckligen Verwandtschaft verzieht sich nach und nach, und selbst die Zunge bildet sich auf Normalgröße zurück.
    »Ich hab’s dir doch gesagt.«
    »Ja, hast du.«
    »Hat sie dir wenigstens geschmeckt?«
    »Wer?«
    »Na, die Wurst.«
    »Ach die. Keine Ahnung. Hab nichts mehr geschmeckt.«
    Die Anwesenden lächeln milde, aber nicht herablassend. Auch sie scheinen diese oder eine ähnliche Erfahrung irgendwann schon mal gemacht zu haben. Ich fühle mich ein wenig akzeptiert und aufgenommen. Sogar meine Atemwege sind für einen Moment etwas freier, vielleicht aber auch nur taub. Doch als ich die dritte Kakaoflasche geleert habe und mit Schluckauf und einer plötzlich auftretenden Luftröhrenenge reagiere, ahne ich Schreckliches: Zu allem Überfluss scheine ich jetzt auch noch allergisch auf Milchprodukte zu reagieren. Na toll!

20
    Ein Kater im Schafspelz
    W ie versprochen räumt die Currywurst nicht nur meine

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