Nasenduscher: Roman (German Edition)
ist er wieder, dieser Schmerz direkt hinter den Augen, wenn man kalte Shakes oder Frozen Margeritas zu gierig in sich hineinschüttet. Ich lege der Bedienung einen Fünf-Dollar-Schein unter den Salzstreuer und bücke mich zu meinem Begleiter. Er scheint noch immer etwas übel gelaunt. Dazu ist es trotz der frühen Tageszeit unerträglich heiß. Vielleicht sollte ich ihn mal kurz von seiner Leine befreien. Ich löse die Sicherungsschnalle und streife ihm das Katzengeschirr über den Kopf. Trotz meiner Allergie streichle ich sogar über sein Fell, worauf ich sofort ein Kribbeln in der Nase spüre und laut niese. Und genau das weckt auch Romeo aus seinem Schlafmodus. Wirkte er eben noch unschuldig und halb tot, nutzt Romeo nun die Gunst des Augenblicks und schießt wie von der Tarantel gestochen unter dem Tisch hervor in Richtung Straße. Sofort hetze ich hinterher und ziehe dadurch die erstaunten Blicke der Einheimischen auf mich. Man hat hier wohl nur sehr selten einen Blinden so durch die Stuhlreihen jagen sehen. Elegant springe ich über einen umgefallenen Stuhl und sprinte los, als hinter mir die höchstwahrscheinlich streng katholischen Gäste auf die Knie fallen und sich bekreuzigen. Sie falten die Hände, und zwischen die bekannten, germanischen Sprachfetzen: Hajo, also wirklich … und Ach Gitte!, mischen sich immer wieder die spanischen Worte vaya Milagro, vaya Milagro. Dazu strecken die Einheimischen immer wieder ihre Hände gen Himmel. Ich verharre kurz und schüttele ungläubig den Kopf. Dann verstehe ich die Aufregung. Man geht hier von einer Wunderheilung Gottes aus. Der blinde Mann trinkt von der Margerita und kann wieder sehen.
Ein Wunder!
Un Milagro!
Der heilige Robert!
Santo Roberto!
Nur Hajo und Gitte sind so auf ihre üblichen Streitereien konzentriert, dass sie von dem ganzen Schauspiel nichts mitbekommen.
Der Barbetreiber wird seine Strawberry Margerita von nun an sicherlich als Heilwasser anpreisen. Nur allzu gerne würde ich mir noch etwas von der roten Erdbeermargerita in die Handflächen träufeln, um mit meinen Wundmalen die Illusion zu perfektionieren, doch auf all meine sakrale Wirkung kann ich keine Rücksicht nehmen. Der Kater ist mein Heiliger Gral. Und das Schlimmste wäre natürlich, wenn ich ganz ohne diesen Gral meine Heimreise antreten müsste. Das wäre das Ende. Für mich, für Janas Beförderungschancen, für unsere neue Wohnung, für die Ruhe der Eheleute Eilhoff … Aber was soll ich tun? Die fromme Gemeinde erwartet etwas von mir.
Also gut. Ich zeichne mit der Hand die Umrisse eines Kreuzes in die Luft und segne die anwesende Gesellschaft, indem ich rufe: »Sanctus, Sanctus!« Dann laufe ich zur Straße, wo ich gerade noch Romeos Schwanz um die gegenüberliegende Häuserecke verschwinden sehe. Mit langen Schritten versuche ich mitzuhalten, vorbei an Mofas, Fahrrädern und Autos. Doch nach zwei Blocks verliere ich ihn aus den Augen. Romeo ist wie vom Erdboden verschluckt.
»Rooomeeeooo …« Lang gezogen rufe ich den Namen in fast jede Gasse der Stadt. Doch außer einigen Personen, die nur den Kopf schütteln, reagiert niemand auf mein Rufen. Ich habe hinter Mülltonnen gestöbert, in Hinterhöfen gesucht und sogar auf einem Markt nachgeschaut, auf dem man Haustiere in fürchterliche Käfige gepfercht zum Kauf anbot. Zum Glück fand ich ihn auch dort nicht.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite kommt mir eine Frau entgegen. Sie ist ganz aufgeregt und faltet immer wieder ihre Hände, als sie sich nähert. Jetzt erkenne ich, dass es eine der Personen war, die vorhin bei meiner Heiligsprechung zugegen war. O nein, auch das noch …
Sie brabbelt etwas auf Spanisch, was ich nicht verstehen kann. Erst als sie ihren Kopf zur Seite neigt und die Worte Miau- Miau ausspricht, verstehe ich, dass sie Romeo gesehen hat und mir helfen will.
»Ja, ja, genau. Miau-Miau. Wo? Wo ist Miau-Miau?«
Sie deutet zurück in die Gasse, aus der sie gekommen ist, und zerrt mich dort hin. Und tatsächlich. Schon von Weitem höre ich etwas. Es ist ein rolliges Jaulen und Jammern. Ich kenne dieses Geräusch mittlerweile sehr gut und folge dem Geschrei. Und dann sehe ich ihn tatsächlich. Neben einer Mülltonne mit Essensresten bockt er sich hinter einer Katze auf und begattet sie, als ob es kein Morgen gäbe.
»Esto es el Diabolo«, sagt die Frau, deutet auf Romeo und wirft sogar einen kleinen Stein in seine Richtung. Doch Romeo interessiert das wenig. Er lässt sich von seinem lustvollen
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