Nasenduscher: Roman (German Edition)
ob in der Zwischenzeit meine Beinmuskulatur atrophiert ist oder bereits ein neues Jahr angebrochen ist. Beides ist nicht der Fall, und ich kann endlich meine volle Schrittlänge ausschöpfen.
Von der Gangway aus hat man einen herrlichen Blick über den Hafen. Nur ist dieser Blick auch schon das einzig Schöne daran. Denn Roatan ist einer der hässlichsten und erbärmlichsten Orte, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Und ich weiß, wovon ich rede, ich kenne Offenbach. Da muss Frau Beilenstein vom Reisebüro wohl ein falsches Foto in die Broschüre gerutscht sein. Bevor ich mich jedoch den versteckten Schönheiten Roatans widme, muss ich zunächst Jana anrufen und begebe mich geradewegs in das Gebäude am Anleger. Dort, so sagte man mir an Bord, gäbe es meist Telefonkabinen für Ferngespräche. Diese seien zwar etwas teurer, stellten aber die einzige Möglichkeit dar, in die Heimat zu telefonieren. Und bereits nach wenigen Metern an Land weisen mir diverse Schilderden Weg. Auf einer alten Schiefertafel hat man, zwar versteckt, aber dafür in spanischer Sprache, die Preise angebracht. Ich überschlage, dass dieses mittelamerikanische Land zwei Drittel seines Bruttosozialprodukts aus den Telefonaten seiner Touristen erwirtschaftet, da jede angefangene Minute vier US -Dollar kostet. Da sage noch einer, die Drogenmafia sei das größte Problem in diesen Ländern. Ich klopfe an ein verschmiertes Fenster, hinter dem ein noch verschmierter wirkender Mann mit mächtigem Schnauzbart sitzt. Er könnte der Bruder von der Dame beim Frühstück sein. Ohne das Fenster zu öffnen, nickt er mir mürrisch zu und reckt zwei Finger in die Höhe. Es folgt eine Handbewegung, die zur Rückwand des Kabuffs zeigt. Dort befinden sich die Sprechkabinen, deren hygienischer Standard dem einer Oktoberfesttoilette am späten Abend entspricht. Dazu sind sie eng und muffig. Ich nehme Romeo sicherheitshalber auf den Arm. Nicht, dass er sich hier noch einen Fußpilz einfängt. Dann krame ich einen Zettel hervor, auf dem ich mir die ellenlange Nummer von Janas Hotel notiert habe. Es rattert und klickt wie in einem Humphrey-Bogart-Film der Dreißigerjahre, und ich warte auf ein Freizeichen. Und tatsächlich, trotz aller vorsintflutlichen Technik klingelt es am anderen Ende. Ich hoffe, Janas Stimme zu hören, doch es klingelt stupide weiter. Als ich bereits wieder auflegen will, knackt es, und eine verschlafene Stimme meldet sich.
»Hallo?«
»Hallo, Schatz, ich bin es. Wollte mal hören, wie es dir geht.«
»Robert?«, kommt es zögerlich zurück.
»Ja. Ich bin es.«
»Sag mal, weißt du, wie viel Uhr es ist?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Aber ich dachte, du freust dich, meine Stimme zu hören.«
»Ja, tu ich auch. Aber ich hätte mich am helllichten Tage noch ein wenig mehr darüber gefreut.«
»Wie viel Uhr habt ihr denn?«
»Warte, ich schau mal.« Bettwäsche raschelt, dann ertönt ein deutliches Stöhnen. »Vier Uhr morgens.«
»Oh, das ist echt früh.«
»Ja, allerdings. Wie läuft es denn zu Hause?«
»Alles prima. Keine Probleme.«
»Und Romeo? Vertragt ihr euch gut?«
Romeo schaut mich fast weise an.
»Auf jeden Fall. Ich habe ihn … äh … total im Griff.«
»Sag mal, hat das mit den Gläsern für meine Mutter geklappt?«
»Na klar, kein Problem. Weißt doch, dass du dich auf mich verlassen kannst.«
Im Stillen danke ich Hubsi für seinen Gläsereinsatz.
»Super, danke. Die sind sonst so wahnsinnig teuer, und wenn die um die Hälfte reduziert sind, habe ich die nächsten drei Geburtstage Ruhe.«
»Hab ich doch gerne gemacht.«
Huuuuuuuuuuuuuuuup!!!!!!!!!
Ein ohrenbetäubender Ton lässt den Hafen erschaudern. Das Schiff neben unserem signalisiert soeben seinen Passagieren, dass es nun zum Auslaufen bereit ist.
»Was war das denn?«, fragt Jana.
»Was?«
»Das Geräusch eben. Hat sich angehört wie ein Schiff.«
»Ja.«
»Was, ja?«
»Nein … ich meine ja. Richtig. Das war ein Schiff. Ich, ich, ich schaue gerade Titanic «, antworte ich und hoffe, dass irgendwo in diesem blöden Film tatsächlich ein Schiff gehupt hat.
»Du magst den Film doch überhaupt nicht.«
»Aber Leonardo di Caprio spielt da mit.«
»Aber den magst du auch nicht.«
»Stimmt. Aber du. Und so fühle ich mich dir einfach näher.«
Was für eine klägliche Lüge. Doch zu meiner eigenen Überraschung funktioniert sie bestens.
»Oh, das ist ja süß. Ich muss wohl öfter mal wegfahren.«
Eine fünfköpfige Familie schiebt sich
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