Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
großer Zahl, wie Saiph es noch niemals erlebt hatte.
Talitha hatte Recht: Das war nicht der sich auflösende Rauch eines längst unter Kontrolle gebrachten Feuers, dort unten tobte ein Krieg. Jetzt verstand er, was ihr durch den Kopf gegangen sein musste, als sie allein vor der Höhle gesessen und auf die brennende Ebene hinabgeblickt hatte, die Bilder der Zerstörung von Orea im Kopf.
Zunächst wanderten sie im Schatten des Talareths, der auch Verbas Höhle schützend überragt hatte. Hatten die Berge auf die Entfernung unberührt gewirkt, hell und rein glitzernd wie Diamanten, bemerkten sie aus der Nähe, dass das Eis schmutzig, voller Steine und Staub war, der an manchen Stellen so dunkel wie Erde war. Die vermeintlich ewige Schneedecke schmolz bereits ab, und auch dies war ein greifbarer Hinweis auf das Erstarken von Cetus. Grell weiß schimmerte der Himmel durch das Geflecht der nadelförmigen Talareth-Blätter, und mit der Zeit gewöhnten sie sich an die Kälte, sodass sie ihnen erträglich vorkam.
Das einzige Problem war, dass sie nur langsam vorwärtskamen. Waren sie anfangs noch zügig marschiert, fiel Saiph das Gehen bald immer schwerer, und irgendwann humpelte er nur noch, so als wäre jeder Schritt eine enorme Anstrengung für ihn. Immer wieder musste er sich gegen die Felswand lehnen, um zu Atem zu kommen, dann stand Talitha bei ihm und betrachtete ihn mit wachsender Sorge.
»Ich hab dich noch nie so mitgenommen gesehen. Ich weiß nicht, ob wir so weitermachen können«, sagte sie.
»Natürlich! Warum denn nicht?«, antwortete er mit schwacher Stimme. »Ist doch klar … ich muss mich noch weiter von der Verletzung erholen … Aber ich werde schon stärker werden.«
Talitha trat näher an ihn heran. »Sollen wir mal länger rasten?«
Gebückt, die Hände auf die Knie gestützt, stand Saiph da und rang nach Atem. Aber er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich bin nur etwas eingerostet, weil ich so lange gelegen habe. Daran sind wir Sklaven nicht gewöhnt. Los, komm, weiter.«
Das Wirrwarr körperlicher Empfindungen, das ihn beherrschte, konnte er sich selbst nicht erklären. Es handelte sich nicht um die übliche Erschöpfung, die ihm seit seinen ersten Lebensjahren vertraut war. Es waren Schmerzen. Nie hätte er sich vorgestellt, dass es so wehtun könnte, einen steilen Weg hinaufzuwandern. Wie schafften es die Talariten nur, so zu leben? Schmerzen lauerten überall. Taten nicht seine Beine weh, so war es der Kopf, in dem es pochte und der zu platzen drohte, und wenn der Kopf Ruhe gab, war es die Kälte, die von einem leichten Prickeln auf der Haut zu einer beißenden, quälenden Pein geworden war.
Er war verwirrt, so als sei das nicht mehr sein eigener Körper. Aber er durfte diesem Gefühl nicht nachgeben. Und so versuchte er, sich ganz auf den Weg und ihr Ziel zu konzentrieren, und beschleunigte seine Schritte, um nicht wieder hinter Talitha zurückzubleiben.
Nach und nach wurde der Weg immer beschwerlicher. Die Temperatur war ein wenig angestiegen, und das Eis unter ihren Füßen begann zu schmelzen. Der Baumpfad, dem sie gefolgt waren, war unterbrochen, sodass sie ihren Weg über den Schnee finden mussten, auf dem sich eine feine Wasserschicht gebildet hatte, die ihn glatt wie Eis machte.
Es kam ihnen vor, als wäre der Weg lebendig geworden und durch einen geheimnisvollen Zauber in der Lage, sich zu winden und unter ihren Füßen fortzugleiten. Ihre Stiefel fanden keinen Halt mehr, und sie kamen kaum voran. Kurz vor Mittag spürten sie auf der Haut die sanften Sonnenstrahlen von Miraval und Cetus, die sich durch die Wolkendecke gekämpft hatten und nun das Talareth-Geäst durchdrangen. Noch glatter wurde das Eis, und sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Saiph, der an beschwerliche Bedingungen gewöhnt war, schaffte es noch ganz gut, aber Talitha landete immer öfter auf dem Hosenboden.
Sie wurde wütend. »Wenn wir in diesem Tempo weitergehen, sind wir an Altersschwäche gestorben, bevor wir aus diesen verdammten Bergen raus sind«, knurrte sie, während sie sich wieder einmal nach einem Sturz aufrappelte. Aber je gereizter sie wurde, desto schneller zog es ihr die Beine weg.
»Wir dürfen uns nicht aus der Ruhe bringen lassen«, versuchte Saiph, sie zu beschwichtigen. »Wir haben schon weitaus schlimmere Gefahren überstanden. Da werden wir doch nicht vor dem bisschen Eis kapitulieren.« Er kauerte sich nieder und überprüfte ihr Gepäck: Neben der knappen Reserve an
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