Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
See, der größer als die zuvor überflogenen war: In der Mitte, dort wo das Wasser am tiefsten war, wirkte er fast schwarz, und zu den Ufern hin ging das Schwarz nach und nach in ein dunkles Blau über, aus dem dann sattes Violett wurde, und schließlich ein breiter blutroter Streifen am Rand, an dem grellgelber Schaum hin und her schwappte. Mitten im Wasser aber erhob sich eine große Insel, die mit dichter, saftig grüner Vegetation überzogen war. Saiph beschrieb Talitha alles, was er sah.
»Glaubst du, dort lebt jemand?«, fragte sie ihn.
»Das kann ich von hier aus unmöglich sagen. Aber ich habe das Gefühl, dass die Insel unser Ziel ist.«
Kurz darauf stieß Eshar einen Pfiff aus und rief: »Haltet euch fest, wir landen gleich!«
Talitha spürte, dass der Drache, und sie mit ihm, rasch an Höhe verlor. Mit weit ausholenden Flügelschlägen schwebte er in Bögen, die sie von einer Seite des Korbs zur anderen warfen, zur Erde nieder.
»Keine Angst«, schrie Saiph gegen das Rauschen der Luft Talitha zu, »es ist alles in Ordnung!«
»Wer hat denn hier Angst?«, rief Talitha zurück, aber ihre Worte gingen in dem Lärm eines zweiten Flügelpaares unter, das sich hektisch auf und ab schlagend näherte. Ein weiterer Drache , dachte sie. Vielleicht eine Eskorte für uns …
Es ruckte, sie wurden kräftig durchgeschüttelt; ihr Drache war aus seiner Bahn ausgebrochen und brüllte.
»Was ist?«
»Ein Drache greift uns an«, rief Saiph. »Halt dich gut fest!«
Talitha stemmte die Füße gegen die Korbwand und zerrte verzweifelt an der Kapuze. Es machte sie rasend, bedroht zu sein und nicht erkennen zu können, was passierte. Hätte sie doch nur ihr Schwert zur Hand gehabt! Noch heftiger riss sie an der Kapuze, während um sie herum die Geräusche, die die Attacke des Drachen ausgelöst hatten, immer lauter und die Stöße immer stürmischer wurden. Auch die Melodie des Femtiten mischte sich darunter, doch dieses Mal schien der Angreifer davon völlig unbeeindruckt. Ein ohrenbetäubendes Brüllen übertönte alles andere, gefolgt vom fürchterlichen Kreischen und Scharren der Krallen, die in die Holzwand des Korbs geschlagen wurden und ihn zerfetzten.
Talitha stürzte ins Leere.
9
D er Sturz endete so schnell, dass Talitha fast nichts davon mitbekam. Sie krachte in eine Baumkrone und spürte, wie die Äste unter ihrem Gewicht brachen, während sie hindurchrauschte, ohne sich irgendwo festhalten und den Fall stoppen zu können. Ein Ast traf sie im Bauch, und sie schrie vor Schmerz. Dann landete sie auf dem weichen Erdboden, der mit einer dicken Laubschicht bedeckt war, und blieb benommen liegen. Zum Glück war der Drache, der sie hergeflogen hatte, beim Angriff fast bis zum Boden hinuntergegangen und hatte so verhindert, dass sie beim Aufschlag zu Tode kam.
Aber was war mit Saiph? Sie rief nach ihm, während sie an dem Seil riss, mit dem ihre Handgelenke gefesselt waren. Während des Sturzes hatte es sich an den Ästen etwas aufgerieben und gelockert, sodass sie sich endlich davon befreien und sich auch die Kapuze vom Kopf reißen konnte. Eine enorme Erleichterung überkam sie, als sie endlich wieder etwas sah, und die Luft kam ihr herrlich geruchlos vor, nach den vielen Stunden, in denen sie die scharfen Dämpfe der in der Kapuze verteilten Substanz hatte einatmen müssen. Sie richtete sich auf und blickte sich um.
Nicht weit entfernt lag der Drache, der sie hergebracht hatte, die gespreizten Flügel zerfetzt, der Bauch grauenhaft aufgerissen von den Krallen des Angreifers. Von diesem Drachen aber war weit und breit keine Spur.
Hinter einem Haufen abgebrochener Äste bewegte sich etwas …
»Saiph«,rief Talitha erleichtert.
»Ich bin in Ordnung«, antwortete er, während er mühevoll auf die Beine kam.
Etwas entfernt lag Eshar am Boden, hatte seine Lanze umfasst und hielt damit drei kleinere Drachen auf Distanz. Sie waren nicht mehr als zwei Ellen lang und hatten schmale Köpfe. Ihre Hinterbeine waren stämmig, die vorderen kurz, jedoch mit langen, scharfen Krallen besetzt. Die Flügel, die an den Schultern ansetzten, waren zu klein, als dass sie damit hätten fliegen können. So lang wie eine Hand breit und gerade geformt, waren sie gespreizt, und die Membran zwischen den Gliedern, durchsichtig und hauchdünn, vibrierte durch die L uftbewegung. Ihre Hautfarbe war ähnlich ungewöhnlich wi e die des Drachen des Femtiten, aber nicht gepunktet, sondern gestreift, in grellem Schwarz und Blau. Längs des
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