Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
richtigen Ort sein. Und für uns heißt das: Wir müssen die Ämter besetzen, die es uns erlauben, die nächste Wahl der Kleinen Mutter in die von uns gewünschte Richtung zu lenken. Bis dahin wird es nicht mehr lange dauern, und wir müssen vorbereitet sein.«
»Die Kleine Mutter ist zwar alt, ihr Gesundheitszustand gibt aber keinen Anlass zur Besorgnis«, hatte Grele erwidert.
»Ja, bis jetzt«, hatte der Graf ihr mit einem hinterhältigen Lächeln zugeflüstert.
Grele wusste sofort, was diese Bemerkung und dieser Ton zu bedeuten hatten. Dieser Mann schien sie besser zu kennen als sie sich selbst und hatte genau verstanden, was sie sich wünschte, noch bevor es ihr selbst bewusst geworden war.
Und das Beste kommt nocht , hatte sie gedacht.
Mühsam richtete Kora sich auf. Die Knie taten ihr so weh, dass sie hätte schreien können. Seit Tagen ging das schon so, weil sie viele, viele Stunden betend zubrachte. Denn sie brauchte Kraft, und nur das Gebet war in der Lage, ihr neuen Mut zu schenken.
Ihre Ängste hatten mit der Zerstörung des Klosters Messe begonnen, ein Ereignis, das sie viel stärker mitgenommen hatte, als sie anfangs geglaubt hätte. Obwohl es nur wenige Priesterinnen gegeben hatte, die sie schätzten, liebte sie diesen Ort, liebte die Stille und den Frieden, die er verströmte. Immer mehr war er zu einem echten Zuhause für sie geworden, ein Zuhause, wo sie, da war sie sich sicher, den Rest ihres Lebens verbringen würde, in frommer Hingabe an die Dinge, die ihrem Herzen am nächsten lagen: die Götter und die Gebete zu ihnen. Und dann war in einer Nacht alles anders geworden. Der Gedanke, dass ihre beste Freundin diese Katastrophe ausgelöst hatte, verstörte sie. Häufig fragte sie sich, wo Talitha stecken mochte, wie sie die Last der Verantwortung für all das ertrug, was sie angerichtet hatte.
Doch es wurde noch schlimmer, als Grele zu einer Art A lleinherrscherin in dem neuen Kloster aufstieg, der nur noc h die Kleine Mutter übergeordnet war. Offenbar waren durch die Tragödie, die sie entstellt hatte, gewisse Züge ihres Charakters noch schärfer hervorgetreten. Der Ehrgeiz, an dem es ihr nie mangelte, hatte sich zu einer wahren Obsession gesteigert. Und die einst nur unterschwellige Grausamkeit, mit der sie die Mitschwestern quälte und Zwietracht zwischen ihnen säte, war nun offen zutage getreten, so als bereite ihr Böses zu tun eine solche Lust, dass sie nicht mehr darauf verzichten wollte. Grele war gefährlich . Umso mehr, da sie selbst beschlossen hatte, sich zur Wehr zu setzen.
Es war an einem Abend gewesen, als sie später als gewöhnlich vom Beten im Tempel zurückkam und nicht weit vom Speisesaal im schwachen Schein der beiden Monde zwei Gestalten erblickt hatte. In einer dieser Gestalten erkannte sie Grele, weshalb sie sich rasch hinter einer Ecke versteckte. Bei ihr war ein junger Mann, einer der Sklaven, die in der Küche Dienst taten, und Kora beobachtete, wie Grele ihm etwas zusteckte, was sie nicht genauer erkennen konnte. Aber so argwöhnisch, wie sie sich umblickten und miteinander tuschelten, musste es sich um etwas sehr Wichtiges handeln. Etwas Wichtiges, von dem, aus irgendeinem Grund, niemand wissen sollte.
Kora war diese nächtliche Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Was hatten die beiden miteinander besprochen? Was hatte sie ihm gegeben? Und wozu? Noch besorgniserregender war ihr die Sache erschienen, als sie erfuhr, dass der Sklave ein Leibdiener der Kleinen Mutter und für deren Speisen zuständig war.
Es wäre besser gewesen, sich nicht in Greles Angelegenheiten einzumischen, doch was Kora da beobachtet hatte, ließ sie nicht mehr los. War es Zufall, dass sich der Gesundheitszustand der Kleinen Mutter in den vergangenen Tagen verschlechtert hatte? Gewiss, sie war alt, und vielleicht war ganz einfach die Stunde für sie gekommen. Aber wenn nicht? Wenn Grele in irgendeiner Weise für die gesundheitlichen Probleme der Kleinen Mutter verantwortlich war?
Nachdem sie lange gezögert hatte, nahm Kora ihren ganzen Mut zusammen und beschloss, den Sklaven zur Rede zu stellen. Seit der Feuersbrunst wurde jeglicher Kontakt zwischen der Dienerschaft und den Novizinnen noch misstrauischer beäugt, und vor allem dieser Sklave verließ die Küche nie.
Nur mit Hilfe ihrer Dienerin Galja war sie schließlich an ihn herangekommen. Galja war eine betagte Femtitin mit tiefschwarzem, im Nacken zu einem Knoten gebundenem Haar, einem von zahlreichen Falten
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