Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zog er sich wieder tiefer ins Schiffsinnere zurück. Der Boden, auf dem er sich bewegte, war flach, doch die Wände folgten der Krümmung des Rumpfes, die von hintereinander angeordneten mächtigen Rippen vorgegeben wurde, die sozusagen das Skelett des Schiffes bildeten. An einer hinteren Wand erblickte er Hunderte von Amphoren, die kreuz und quer durcheinander-lagen. Er trat näher und schaute sie sich an. Offenbar waren mit dem Schiff Waren transportiert worden. Einige der Behälter waren noch verschlossen. Er griff zum Dolch und durchstoch mit einiger Mühe die Kalkschicht, die den Hals einer Amphore abschloss. Sofort strömte ein intensiver süßer Duft aus, der so stark war, dass er sogar die Ausdünstungen des Aritella-Gelees unter seinem Schal überdeckte. Er zog ihn ein Stück herunter, um diesen fremdartigen Duft noch deutlicher zu riechen. Etwas Vergleichbares gab es in Talaria nicht. Es war der Geruch einer völlig anderen Zeit, vielleicht sogar einer anderen Welt, ein Geruch, der die Katastrophe überstanden hatte, bei der das Schiff zerstört wurde, sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erhalten hatte und zu ihm gelangt war. Saiph war berauscht und bewegt. Dann sah er in das Gefäß hinein. Trotz des schummrigen Lichts erkannte er, dass die Amphore leer war. Offenbar hatte sich der Inhalt schon vor langer Zeit aufgelöst und nur noch einen Hauch dessen, was er einmal war, diesen lieblichen Duft, zurückgelassen.
In einer anderen Ecke des riesigen Raumes lagerte ein Material, das vollkommen verfallen und verkohlt war. Unmöglich zu sagen, worum es sich einmal gehandelt hatte, vielleicht Nahrungsmittel, vielleicht auch Stoffe. Oder aber um etwas völlig anderes.
Wer waren die Leute, die das alles geschaffen haben? Und was ist aus ihnen geworden? , dachte Saiph und erschauderte. Er überwand sich und trat noch einmal auf den klaffenden Riss in der Außenwand zu und sah die beiden Monde bereits hoch am Himmel stehen. Er sollte ein wenig schlafen, überlegte er, und dann bei Tageslicht versuchen, dieses Schiff zu verlassen. Wenn es hell war, konnte er sich besser orientieren und hatte größere Aussichten, einem Angriff des Rieseninsekts zuvorzukommen und ihm zu entwischen. Zudem war die Anspannung, die ihn den ganzen Tag im Griff hatte, einer überwältigenden Müdigkeit gewichen. Ein paar Stunden Schlaf musste er sich gönnen.
Er kehrte in die Kajüte zurück, in der er sich versteckt hatte, legte sich in einer Ecke nieder und schob sich seinen Quersack als Kissen unter den Kopf. Sofort versank er in einen tiefen, ruhigen Schlaf und träumte von einer untergegangenen Zivilisation, einem Volk, das vor unzähligen Jahrhunderten mit diesem gigantischen Schiff endlos weite Wasserflächen befahren hatte.
Kaum war er am nächsten Tag erwacht, wagte er den Ausbruch. Was er, als er das Schiff verließ, am Boden erblickte, versetzte ihm einen schmerzhaften Stich ins Herz. Ein Haufen Knochen glänzte weiß im Licht der beiden Sonnen: Mehr war von Mareth, seinem schönen, imposanten Drachen, nicht übrig geblieben. Saiph konnte die Tränen kaum zurückhalten. Von dem Ungeheuer, das Mareth verschlungen hatte, war nichts zu sehen. Er hob die Säcke mit den Vorräten auf, die an dem Drachen gehangen hatten und von der Spinne als Mahlzeit verschmäht worden waren, und lud sie sich auf den Rücken.
In zwei Tagesmärschen erreichte er die Berge. Ihre zerklüfteten Umrisse mit einem gezackten Kamm, der an den eines Drachen erinnerte, entsprach der Beschreibung, die Saiph in Verbas Tagebuch gelesen hatte. Dessen Bleibe war noch drei Tagesmärsche in westliche Richtung entfernt, wenn die Angaben stimmten. Seit er das Wrack verlassen hatte, war er nicht mehr auf irgendwelche monströsen Kreaturen gestoßen. Doch beim kleinsten Geräusch war er immer zusammengefahren und hatten seinen Dolch gezückt.
Erst jetzt wurde Saiph so richtig klar, wie tröstlich und beruhigend Mareths Gesellschaft für ihn gewesen war. Der Drache hatte ihm nicht nur ein schnelles und gefahrloses Reisen ermöglicht, sondern war ein echter Gefährte gewesen, mit dem er sich auch ohne Worte hatte austauschen können. Er dachte daran, wie Mareth seine Schnauze an ihm gerieben oder ihn mit der Flügelspitze angestupst hatte, wenn er hungrig war oder gestreichelt werden wollte.
Saiph war allein mit seinen Gedanken, die sich unweigerlich immer wieder um Talitha drehten. Ausgelaugt von Hunger, Durst und Erschöpfung, eingehüllt in die Stille dieses
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