Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
jeder Schlag traf.
Da vernahm sie hinter sich einen Schrei, der höher als die anderen klang. Sie fuhr herum und sah ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, das vielleicht gerade einmal dreizehn Jahre alt war und ein von Blut und Schlamm verdrecktes Nachthemd trug. Einen Dolch in der Hand, stürmte sie mit verzweifelter Miene, wie jemand, der nichts mehr zu verlieren hat, auf Talitha zu. Die wich ihrem Stoß aus, doch schon holte das Mädchen wieder aus und wollte erneut zustechen, zornig und wahllos, die Augen voller Tränen. Talitha packte ihr Handgelenk und drehte es um, sodass der Dolch zu Boden fiel.
»Warum, warum, warum …!?«, schrie das Mädchen und zappelte wie von Sinnen. »Warum tut ihr uns das an?«
Entgeistert stand Talitha da und wusste nicht, was sie antworten sollte.
Da tauchte ein Rebell aus dem Rauch auf, und als er sah, was dort geschah, hob er das Schwert und rief Talitha zu: »Halt sie gut fest, ich haue ihr den Kopf ab.«
»Lass sie, sie ist doch noch ein Kind«, hielt sie ihn auf, wobei sie ihr Schwert hochzog und seines blockierte.
»Unsinn! Sie ist eine verdammte Talaritin«, schrie der Femtit. »Wenn sie alt genug zum Kämpfen ist, ist sie auch alt genug zum Sterben«, setzte er hinzu, während er ein wenig in die Knie ging und mit leicht bebenden Händen zum tödlichen Schlag ausholte.
»Lass sie, habe ich gesagt!«, herrschte Talitha ihn an. »Wenn du nicht gleich verschwindest, bin ich es, die dir den Kopf abschlägt!«
Erschrocken wich der Mann zurück, zögerte einen Momen t, spuckte dann einmal kurz verächtlich vor Talitha aus und stürzte sich wieder ins Getümmel.
Das Mädchen kniete am Boden und ließ den Tränen freien Lauf. Im Eingang des Hauses, aus dem sie aufgetaucht war, sah Talitha eine Frau am Boden liegen, die Brust von einem Schwerthieb aufgerissen. Die Ähnlichkeit mit dem Mädchen war beeindruckend. Ein heftiger Schauer durchfuhr Talithas Glieder, und sie kniete bei dem Mädchen nieder und nahm die junge Talaritin in den Arm. »Ganz ruhig, ganz ruhig …«, murmelte sie und merkte, dass sie mehr sich selbst beruhigen wollte, denn das Herz raste ihr in der Brust. Dann ließ sie den Arm sinken und sah dem Mädchen in die Augen. »Lauf weg und versteck dich irgendwo, in einem Schrank, einer Truhe, egal wo, aber man darf dich nicht finden. Und wenn es dann dunkel ist, verlässt du den Ort. Verstanden? Das ist deine einzige Chance.«
Das Mädchen nickte, sprang auf und rannte davon. Schon nach wenigen Schritten hatte der Rauch sie verschluckt.
Zur sechsten Stunde nach Sonnenaufgang war alles vorüber.
In den Gassen türmten sich die Leichen, und die wenigen überlebenden Talariten, die nicht hatten fliehen können, waren auf dem Hauptplatz zusammengetrieben worden, während die gefangenen Gardisten gefesselt am Boden lagen und auf den Tod durch das Schwert oder durch Hunger und Durst warteten.
Inmitten dieses Todesszenariums feierten die Femtiten. Überall hörte Talitha Jubelschreie, sah strahlende Gesichter. Flaschen mit Purpursaft kreisten. Sie hatten gesiegt, hatten die Ketten einer jahrhundertelangen Sklaverei abgeworfen.
Es war richtig, dass sie feierten, dachte Talitha. Und gern hätte sie sich ihrem Jubel angeschlossen, aber es gelang ihr nicht. Der Blick des Mädchens verfolgte sie, er war tief in ihren Geist eingedrungen.
Die Rebellen hatten alle Häuser durchkämmt, und viele tanzten in den Kleidern der Toten herum und führten pantomimisch Szenen auf, in denen ihre früheren Herren und deren Hochmut verhöhnt wurden. Talitha fragte sich, was das für Leute waren, denen diese Kleider einmal gehört hatten, welche Geschichten sich hinter den Dingen verbargen, über die sich die Femtiten hermachten, dem Essen, das sie mit beiden Händen in sich hineinstopften.
»Willst du einen Schluck?«
Talitha schrak aus ihren Gedanken auf. Melkise stand mit einer halbleeren Flasche in der Hand neben ihr.
Talitha hatte nicht die Kraft abzulehnen und nickte langsam. Während ihr der Saft die Kehle hinunterlief, hatte sie das Gefühl, er schmecke nach Blut, aber als er sich dann warm in ihrem Inneren ausbreitete, tat er ihr doch gut.
»Alles in Ordnung«, fragte Melkise und setzte sich.
»Ja, ich bin nur erschöpft.«
Er schwieg einige Augenblicke und sah sie aufmerksam an. Kein Zweifel, sie war nicht erschöpft, sondern erschüttert.
»So ist der Krieg, Talitha. Er ist nie anders gewesen. Oder hast du das etwa erwartet?«
Sie wusste nicht, was sie
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