Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
vor? Herzukommen?«
»Ja. Das war es, was ich eigentlich sagen wollte. Ich dachte, nachträglich, zum Geburtstag. Wir könnten … wir könnten Eis essen gehen. Oder so. Du weißt, ich habe nicht viel Geld, aber für eine Einladung zum Eis wird es schon reichen …« Er lachte, verlegen. »Ich hab eine Mitfahrgelegenheit, für nächsten Samstag. Abends bin ich da.«
»Aha«, sagte Svenja. Das einzige Wort, was man zu den Ideen ihres Vaters überhaupt sagen konnte. Die Tür öffnete sich, und ein Kopf voller verschlafener Rastalocken sah herein. »Herzlichen …«, sagte Friedel und verstummte, das Telefon in Svenjas Hand bemerkend. Er trug einen Teller mit einem merkwürdigen flachen Ding darauf, das vielleicht ein Kuchen hatte werden sollen. Darin steckte eine gebrauchte Kerze.
»Also, Samstagabend«, sagte Svenjas Vater. »Ich freu mich, dich zu sehen. Meine erwachsene Tochter.«
»Warte«, sagte Svenja. »Du hast nicht mal die Adresse. Ulrichstraße drei. Schreibst du es dir auf?«
»Du hörst dich an wie deine Mutter«, sagte ihr Vater. »Und du hast recht, genau wie sie.«
Er schien zu schlucken, oder nur zu schreiben. »Ich liebe deine Mutter«, sagte er. Dann legte er auf. Svenja ließ das Telefon sinken, und Friedel kam ganz herein.
In diesem Moment fiel es ihr auf: Friedel war exakt wie ihr Vater.
Mit dem Unterschied, dass ihr Vater versuchte, jünger zu wirken, als er war. Friedel hatte das nicht nötig, er wirkte immer jünger, als er war, wie ein junger Hund, unbeholfen, stürmisch. Vielleicht gefährlich, wenn er einen ansprang und umwarf.
Er stellte den Teller mit dem misslungenen Kuchen auf den Fußboden, setzte sich auf die Bettkante und küsste Svenja, so lange, wie sie ihn ließ. Sie versuchte, ihre Gedanken während des Kusses zu sammeln.
Als sie daraus auftauchten, sagte er noch einmal: »Herzlichen Glückwunsch«, und sie sagte: »Mein Vater kommt.«
»Hierher?«
Svenja nickte. »Ich fürchte. Nächsten Samstag. Kann er bei uns übernachten? Weißt du, wo Nashville ist?«
»Ja und nein«, sagte Friedel. »Wo dein Vater übernachtet, ist mir prinzipiell egal. Wenn er sich auf dem Kopf in den Schrank stellen will, von mir aus. Nashville habe ich noch nicht gesehen. Ist das etwas Besonderes?«
»Nein und ja«, sagte Svenja.
In der Küche saßen Thierry und Kater Carlo bei einer Morgenzigarette. Kater Carlo rauchte nur mit einer Hand, mit der anderen zeichnete er Thierry in Kohle auf den Tisch. Keiner von ihnen hatte Nashville gesehen, aber sie hatten nichts dagegen, den Kuchenunfall zu teilen. Wenn man Butter auf die Stücke schmierte, ging es.
»Das Rezept war online«, sagte Friedel. »Aber der Computer hat mich gestern Nacht immer wieder aus dem Netz geschmissen … und ich fürchte, ich war nicht ganz nüchtern.«
Svenjas Mutter rief an und sagte, ein Paket sei unterwegs.
»Papa will mich besuchen«, sagte Svenja.
Ihre Mutter schwieg einen Moment lang.
»Sagst du mir danach, wie er klarkommt? Er ist …«
»Er ist erwachsen«, sagte Svenja und legte auf. Dann schnappte sie sich ihre Tasche, um zum Terminologiekurs zu fahren. »Du unterschreibst für mich, oder?«, sagte Friedel.
Sie seufzte. Das war das vierte oder fünfte Mal in Folge. Sie fragte sich, ob sie Friedels Unterschrift irgendwann besser können würde als er selbst.
Er stand in der Tür wie einer, der zu Hause bleibt, während der andere zur Arbeit geht. Er war verdammt blass. Svenja stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinem Gesicht beim Umarmen ganz nahe zu sein.
»Friedel Häberle«, flüsterte sie. »Wenn du nicht studieren willst, lass es. Aber entscheide dich. Du bist der erste Mann, der für mich einen Kuchen gebacken hat. Aber du bist auch der erste Mann, den ich treten werde, damit er etwas Vernünftiges tut.«
»Tritt ruhig«, sagte Friedel. Er klang nur verkatert.
Auf der Blauen Brücke stand jemand, genau in der Mitte, und sah hinab zu den Zügen.
Zuerst dachte Svenja, es wäre der Zugfütterer, bis ihre Vernunft ihr sagte, dass das natürlich unmöglich war. Es war auch nicht Nashville.
Es war Katleen.
Svenja hielt das sonnengelbe Fahrrad neben ihr an. Es regnete noch immer, unablässig und grau, T-Shirt-grau. Katleen sah auf, lächelte und strich sich über das schwarze Stoppelhaar, das noch kürzer wirkte als sonst: frisch gemäht. Vielleicht mit der Sense.
»Hey«, sagte Svenja. »Ich muss zu einer blöden Pflichtveranstaltung. Hast du Nashville ge …«
»… sehen. Ja«,
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