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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sagte Katleen. »Du weißt doch, ich bin eine Mailbox für ihn. Er hat wieder eine Nachricht auf mir hinterlassen. Ich war auf dem Weg zu euch, um zu fragen, was heute Abend läuft, da kam er mir entgegen. Ich soll dir sagen:
Jemand ist dabei, etwas für dich zu besorgen, das du dir wünschst
.« Sie trat ganz nahe an Svenja heran, zögerte einen Moment lang und umarmte sie dann ganz kurz.
    »Herzlichen Geburtstag.«
    »Danke«, sagte Svenja. »Keine Ahnung, was heute Abend läuft. Komm einfach. Ich meine: Ich würde mich freuen.«
    Katleen nickte, und als Svenja sich am Ende der Brücke nach ihr umdrehte, stand sie noch immer am gleichen Fleck.
    Sie sah so verloren aus wie der Zugfütterer. Es war nicht die Brücke, die die Leute verloren wirken ließ. Es waren die ständig abfahrenden Züge.
    Am niemals fertig gebauten Rohbetongebäude auf der anderen Brückenseite hing ein roter Kasten, der aussah wie ein Kaugummiautomat.
    Ein Kaugummiautomat im vierten Stock an einer Außenwand.
     
    Am Nachmittag hatte der Regen nachgelassen, und ein blau gewaschener Himmel blitzte zwischen weißen Restwolken. Im Haus Nummer drei war eine Kaffeetafel angerichtet, mit weißer Decke und Blumenstrauß. Durch die Luft klang Mozart, von einer alten Platte, schwarz und angenehm zerkratzt.
    »Bitte die Herrschaften, Platz zu nehmen«, sagte Friedel. »Die Torte darf angeschnitten werden. Thierry?«
    »Kater Carlo hat mein Messer«, sagte Thierry. »Er wollte irgendeine Leinwand damit zerschneiden.«
    Da die Kaffeetafel sich auf dem Dach befand, vermied Kater Carlo beim Suchen nach dem Messer ausladende Bewegungen. Es war etwas schräg hier. Katleen hielt den Teller mit der Torte, die sie mitgebracht hatte. Der Plattenspieler, der zum Haus gehörte, stand auf dem Schornstein, gemeinsam mit dem Blumenstrauß: die ewigen Tübinger Akeleien und drei Stängel blühende Cannabis. Kater Carlo fand das Messer nicht.
    »Wir könnten die Torte mit den Fingern zerteilen«, sagte Thierry.
    »Nein, dazu ist sie viel zu schön«, sagte Svenja. »Es hat noch nie jemand eine vierstöckige Torte für mich gemacht. Ich hole ein Messer von unten.«
    Sie spürte die ersten beiden Gläser Sekt in ihren Beinen, als sie über die wackelige alte Leiter auf einen der beiden Balkons hinunterkletterte. Einen Moment lang blieb sie am Fuß der Leiter stehen. Unter ihr lag die Stadt, glänzend feucht nach dem Regen.
    »Zwei Gäste fehlen«, murmelte sie. »Nummer eins – Gunnar Holzen. Aber woher soll er wissen, was heute für ein Tag ist? Nummer zwei wird noch auftauchen, auf oder unter oder in etwas, einem Tisch, einem Bett, einem Stuhl, einem Schrank … umgekehrt natürlich.«
    Sie lief hinunter in die Küche, um ein Messer zu suchen – glücklich, sektselig, schwerelos.
    Und dort, zwischen den Gerüchen von frischen Kräutern, altem Holz und kaltem Zigarettenrauch, dort lag etwas auf dem Tisch. Etwas, was zuvor nicht da gelegen hatte.
    Die Kette.
    Die Kette mit dem Regenbogen aus Glas – lauter Kugeln in nur leicht unterschiedlichen Farben.
    Svenja stand ganz still, die Kette in der Hand.
    »Danke«, sagte sie. »Sie ist wunderschön.«
    »Zuerst hat alles geklappt.« Die Stimme war nur ein Flüstern. »Die Jungs hinter der Schule … Sie haben nicht gemerkt, dass ich das Portemonnaie genommen habe, von dem einen. Ich habe die Kette ganz normal bezahlt. Aber dann haben sie es doch gemerkt. Auf dem Rückweg … haben sie mich erwischt.«
    Da drehte sie sich um, und endlich sah sie ihn. Er saß in der Ecke zwischen Kühlschrank und Wand, in die beinahe kein Licht fiel. Er saß nicht wirklich. Er war in sich zusammengesackt, die Augen halb geschlossen. Als sie endlich begriff, was er gesagt hatte, musste sie sich zwingen, die Kette nicht fallen zu lassen. Sie war mit einem Satz bei ihm und zog ihn ins Nachmittagslicht.
    »Nashville …«, sagte sie. »O Gott!«
     
    Das Gesicht, das zu ihr aufsah, war nicht das eines Kindes, sondern das Ergebnis der Wut von Älteren. Blut verschmierte die Stirn und die Wangen, klebte im Haar und war am Hals hinabgelaufen. Seine Augen waren beinahe vollkommen zugeschwollen. Die Unterlippe war aufgeplatzt, eingerissen, es sah nicht aus wie etwas, das man länger ansehen wollte. Da war eine Platzwunde über dem linken Auge und an seinem Kopf, aber vielleicht war das Blut in seinen Haaren nur Dreck. Sein Hemd war zerrissen, und er hielt die eine Hand seltsam.
    Sie suchte mit einem hektischen Blick nach Schnittwunden. Sie

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