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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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und den alten Männerhemden. Aber eine Gefahr zu beseitigen, die nicht existierte, war sicher besser, als eine zu übersehen, die existierte. Julietta war eine kluge Frau.
    Gunnar drehte sich ein einziges Mal kurz zu Svenja um. Sein Blick war seltsam, er war … suchend. Gunnar suchte etwas in ihrem Gesicht, eine Antwort auf eine Frage, die er nicht gestellt hatte.
     
    Der Garten, an dem sie anlegten, war auch an diesem Grautag idyllisch. Die Blumen reckten sich duftend aus ihren Beeten, die uralten Bäume neigten sich Schatten spendend über Wege und Treppen.
    Doch Svenja trug jetzt die Bilder zweier anderer Gärten in sich, zweier Paradiesgärten. Der erste lag auf dem Österberg, bei einem Indianerhaus aus Ästen. Der zweite lag zwischen vergessenen Kräuterbeeten hinter dem Schloss. Dieses Paradies war perfekter, vollendeter …
gemachter
als die beiden anderen. Es war nur das dritte Paradies.
    »Du nass«, sagte eines der Zwillingsmädchen und zog an ihrer Hand. Danach folgte ein Schwall italienischer Worte. Svenja ließ sich in das riesige Haus ziehen, verfolgt vom zweiten Zwilling. Die beiden liefen barfuß über die dicken Teppiche verlassener Flure, und Svenja versuchte, sie doch noch zu stoppen. »Wartet! Ich habe noch nicht mal den Besitzern dieses Hauses Guten Tag gesagt …?«
    Die Zwillinge lachten nur und zogen sie weiter.
    Das Haus war ein Museum. Goldgerahmte Gemälde hockten duster in den Fluren, eine Sammlung alter Säbel samt musealer Beschriftung zierte die Rankentapete, Wandteppiche hingen – na, wo schon, an der Wand. Sie durchquerten einen riesigen Salon mit dem unvermeidlichen Klavier, auf dem die unvermeidlichen Familienfotos standen. Hohe Bücherregale türmten sich auf wie Wolkenwände, aber das lederne Sofa an der Wand, abgewetzt und voller Kissen, wirkte freundlich. Zwei schwarze Katzen lagen dort und träumten mit zuckenden Pfoten vom Fliegen.
    Die Zwillinge scheuchten Svenja bis in ein pastellhelles Prinzessinnenzimmer. Dort öffneten sie den Kleiderschrank zu einer Welt von Sommertüll. »Julietta«, sagten sie und danach noch mehr Italienisches. »Julietta!«
    »Ich kann doch kein Kleid von Julietta anziehen«, protestierte Svenja. »Nicht, ohne sie zu fragen! Und ich passe auch nicht hinein! Ich bin keine Elfe so wie ihr und sie.«
    Die Zwillinge kletterten kichernd in den Schrank. Für Sekunden glaubte Svenja, dort im Schatten eine Gestalt zu sehen, die auf dem Kopf stand. Sie stellte sich vor, wie Nashville aus dem Schrank kletterte und sich vor Juliettas Frisierspiegel stellte, um seine unregelmäßig abgesäbelten Haarbüschel zu betrachten. Es tat an einer unbekannten Stelle tief in ihrem Inneren weh, sich das vorzustellen.
    »Svenja?«
    Sie fuhr herum, und dort stand die Herrscherin des Pastellraums: Julietta. Sie griff in den Schrank und zog die beiden Schmetterlingskinder ans Licht.
    »Raus mit euch, albernes Flatterzeug«, sagte sie. »Sonst muss ich euch auf den Grill legen! Lasst Svenja in Ruhe. Ksch, ksch!«
    Die Schmetterlinge stoben kichernd davon.
    »So«, sagte Julietta und schloss den Schrank. Sie griff in eine Kommode und reichte Svenja eine Hose und ein T-Shirt. »Die könnten dir passen. Das Bad ist da drüben.«
    Das Bad war rosa und weiß, und Svenja beeilte sich, es zu verlassen, ehe sich in ihrem Kopf ein Bild von Nashville einnistete, der in der riesigen Badewanne ertrank.
    Julietta musterte sie, als sie in ihren Kleidern wieder erschien: Kleidern mit Form und Figur.
    »Steht dir«, sagte sie. »Warum hast du sonst immer Männerhemden an?«
    »Rebellion gegen das Barbiezeitalter«, antwortete Svenja und kam sich lächerlich vor.
    Julietta lachte nicht. Sie wanderten gemeinsam die schweigenden Flure entlang, und schließlich sagte sie: »Ich … ich bewundere das, weißt du. Wie du das machst, mit dem Jungen. Wie heißt er noch?«
    »Nashville.«
    »Nashville. Kinder suchen sich die komischsten Spitznamen aus. Es muss unendlich schwer sein, ein Kind großzuziehen und gleichzeitig zu studieren. Wir wollen auch Kinder, aber ich möchte warten, bis ich mit dem Facharzt fertig bin, ich möchte Zeit für die Kinder haben. Wenn ich überlege, wie jung du warst, als er geboren wurde …«
    Moment, dachte Svenja. Irgendetwas lief hier schief. Als Nashville geboren wurde, war sie ungefähr neun gewesen.
    »Ich dachte anfangs, du wärst noch jünger«, sagte Julietta. »Neunzehn oder zwanzig. Warum guckst du so? Das ist doch gut, oder, jünger

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