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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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unter dieses Dach rettete die Gesellschaft sich und den Grill. Die Zwillinge rannten barfuß durch den Regen und juchzten auf Italienisch. Das Fleisch war angebrannt. Gunnar schien am Ende das Wenden vergessen zu haben.
    Juliettas Vater erzählte Arztwitze und goss Wein nach. Der Regen wurde schräg unter das Dach geweht, und sie rückten nahe zusammen an dem Gartentisch, um nicht nass zu werden.
    »Auf den Regen!«, rief Juliettas Vater.
    Irgendwo in einer Zwischenwirklichkeit saß der Junge zwischen den Zeilen mit am Tisch.
    »Keiner von ihnen lebt, Svenja«, flüsterte er. »Sie sind schon tot, sie wissen es nur nicht … Schau, wie wattiert ihre Wirklichkeit ist, keine Aufs und Abs … Das Haus und der Garten und die Weinflasche sind nur Dinge, sie hängen ihr Herz zu sehr an Dinge …«
    Gunnar nicht, sagte Svenja im Stillen zu ihm. Ich kann spüren, wie dringend er von hier fortwill, er will diese Doktorarbeit zu Ende bringen, er will arbeiten und Menschen helfen, statt mit diesen Leuten zu trinken, schau …
    Aber der Raum zwischen den Zeilen hatte sich geschlossen. Sie ließ ihren Blick über die Gesichter am Tisch gleiten. Hörten diese Leute eigentlich kein Radio? Wusste niemand von ihnen, was am Wehr geschehen war? Nein, dachte sie, diese Welt befand sich jenseits der schlimmen Dinge. Das Schlimmste, was es hier gab, war ein verlorener Fechtkampf.
    Moment. Da war etwas.
    Ein Gedanke.
    »Es wird zu nass«, sagte Juliettas Vater. »Los, Kinder, mit anpacken, wir ziehen nach drinnen um. Den Nachtisch gibt es im Wohnzimmer.«
    Was war der Gedanke gewesen? Sie verlor ihn auf dem Weg ins Haus.
    »Svenja«, sagte Nils, drinnen, im Salon, in dem Svenja eigentlich nicht sein wollte. »Ich weiß es.« Konnte er Gedanken lesen? »Ich meine, du weißt es doch auch, oder?« Er sprach jetzt sehr leise. »Was gestern Nacht passiert ist? Ich wollte dir nur sagen, dass mir das leidtut. Er war betrunken, oder? War das unsere Schuld? Und dann fällt man also in den Fluss und ersäuft. Blöd gelaufen. Ich meine, ich kann nicht sagen, dass ich ihn mochte. Aber leid tut es mir trotzdem.« Er legte einen Arm um sie und drückte sie kurz an sich.
    Juliettas Tante reichte ihr ein Lächeln und ein Glas mit etwas Cremeartigem, süß Duftendem.
    Svenja lächelte zurück und wünschte sich weit weg. Weg aus diesem Salon, weg aus dieser Welt. Sie sehnte sich auf einmal nach dem klebrigen Staub auf den Küchenregalen des Hauses Nummer drei. In diesem Moment klingelte es, und Juliettas Mutter verschwand, um zu öffnen. Als sie wiederkam, lächelte sie Svenja zu. »Da ist jemand für dich«, verkündete sie. »Er sagt, er wollte dich abholen.«
    »Ein Kind?«, fragte Svenja.
    »Nein«, sagte Juliettas Mutter. »Ein junger Mann. Er wollte nicht hereinkommen. Er wartet draußen im Regen.«
     
    Draußen im Regen, auf dem Pflaster der Neckarhalde, stand Friedel. Hinter ihm stand das sonnengelbe Rad, das Svenja bei der Mauer am Fluss vergessen hatte. Beide, das Fahrrad und Friedel, waren ziemlich nass.
    »Svenja«, sagte er unsicher. »Bleibst du noch?«
    »Nein«, sagte Svenja und schloss die Tür hinter sich. »Ich habe mich schon verabschiedet.«
    Einen Moment lang blieb sie im Regen stehen und ließ die Tropfen über ihr Gesicht laufen. Es war ein gutes Gefühl. Es war auch ein gutes Gefühl, Friedel zu sehen. Seine Rastalocken und seine Regenjacke, an der fast alle Druckknöpfe fehlten.
    »Woher wusstest du, wo ich bin?«
    »Nashville. Er ist nach Hause gekommen und hat mir erzählt, wo ich dich finde, und dann hat er sich ins Bett gelegt und ist eingeschlafen, sofort. Als wäre er die ganze Nacht wach gewesen.«
    Svenja nickte langsam. »Wer fährt?«, fragte sie dann.
    »Ich«, sagte Friedel.
    Svenja kletterte auf den Gepäckträger.
    »Lass uns was Trockenes trinken gehen«, sagte Friedel, und sie legte die Arme um seinen nassen Regenjackenkörper.
    »Fahr nach Hause«, flüsterte sie.
     
    Als Friedel anhielt, rollten die ersten Donnerschläge über die Stadt. Das Gewitter war zurückgekommen. Svenja sah an dem Haus empor, vor dem Friedel das Rad abstellte: ein riesiges altes Gebäude, das vor allem aus Glas und Balken bestand.
    »Guck nicht so zweifelnd, das ist eine Kneipe«, sagte er. »Und zwar die mit den besten Sofas. Die
Kelter

    »Zu Hause hätte man was Trockenes anziehen können …«
    »Trockene Kleidung wird überbewertet. Ich wollte ein Mal, bitte, nur
ein Mal
allein mit dir sein.«
    Immerhin regnete es in

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