Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
aus, als wären sie lieber anderswo.
»Wir wollen uns das Mauerwerk ansehen«, sagte der zweite Anzug, freundlicher. »Und Proben von den Balken nehmen. Solche Dinge. Es ist noch nicht ganz klar, ob das Haus wirklich abgerissen werden darf oder ob es unter Denkmalschutz steht.«
»Hinterher wird die Tür versiegelt«, erklärte der erste Anzug. »Vermutlich wird es ein Verfahren geben wegen Hausfriedensbruch.«
»Aber die Kinder können doch noch ihre Möbel raustragen …«, begann Svenjas Vater wieder.
»Hier wird gar nichts rausgetragen. Dass die Möbel den Hausbesetzern gehören, müssen Sie erst mal beweisen.«
Nashville starrte die ganze Zeit, ohne ein Wort zu sagen. Aber Svenja sah, wie die Polizisten vor seinem Blick zurückwichen.
Sie fasste ihren Vater sanft am Arm. »Lass es. Was sollen wir mit den Möbeln? Wir können sie schlecht in den Park stellen.«
»Warum nicht?«, fragte Kater Carlo. »Vielleicht das wäre interessante Kunstprojekt.«
»Machen wir ein Happening draus und filmen, wie die Herren mit uns um ein paar kaputte Sessel kämpfen«, schlug Thierry vor und lächelte freundlich.
»Hört auf mit dem Quatsch«, sagte Friedel, der ebenfalls aufgetaucht war. »Packen wir.«
Die Gewürze in der Küche rochen nach Abschied. Die zusammengewürfelten Teller und die irgendwo entwendeten Gläser blieben als Spur des Lebens an ihrem Platz. Auch das Licht, das der Ahorn filterte, ehe es durchs Fenster hereinfiel, war zu sperrig, um es mitzunehmen.
Sie packten nur das Nötigste. Die Kerzen in ihren Weinflaschen, die Sessel, die Gästematratze aus dem lichtlosen Keller … das alles würde bleiben und irgendwo, irgendwann auf irgendeinem Müllplatz landen.
Fremde Schritte gingen bereits zwischen den Koffern umher. Stimmen riefen sich Zahlen und Fachbegriffe zu. Eine Bohrmaschine surrte. Der bissige Mann im Anzug stand auf dem Balkon und ignorierte Kater Carlo, der den Cannabisgarten samt Töpfen und Erde in den größten der alten Koffer packte.
Schließlich betrat Svenja das große Dachzimmer noch einmal. Ihr Zimmer. Nashville kletterte aufs Bett und stellte sich dort auf den Kopf. Svenja stellte sich neben dem Bett auf den Kopf.
»Wohin gehen wir?«, fragte er.
»Mal sehen«, sagte sie.
»Es ist eigentlich wie mit Sirja«, sagte er, immer noch kopfstehend. »Man ist immer woanders. Mit dir sind es Häuser, mit Sirja waren es Parks oder Wälder am Stadtrand. Irgendwann will ich mal irgendwo bleiben.«
»Ich auch«, sagte Svenja und kam auf die Beine. »Ich auch.«
Und dann packte sie, und Nashville verschwand irgendwohin. Das violette Hemd lag wieder im Schrank, sie fühlte die Messer, die Nashville in den Stoff gewickelt hatte. Vielleicht hatte sie es beim letzten Mal nur übersehen? Sie packte es ganz unten in ihren Rucksack, zog das Bett ab und stand einen Moment lang mit dem Laken in der Hand da, versunken in den Anblick des Morgens vor den Fenstern.
»Ruhig, ruhig«, sagte jemand vor der Tür. »Wir wollen uns nur die Balken ansehen und ein paar Sachen ausmessen.«
»Das ist unser Zimmer«, sagte Nashville. »So lange, bis wir uns davon verabschiedet haben.«
»Reg dich nicht auf, Kleiner«, sagte die andere Stimme wieder. »Wir … Hey! Halt mir dieses Kind vom Leib!«
Svenja ließ das Laken fallen und öffnete die Tür. Davor standen der freundliche Mann im Anzug und einer der Polizisten. Zwischen ihnen und der Tür stand Nashville.
Er stand breitbeinig da, und seine erhobene Kinderhand hielt ein Messer. Das einzig scharfe Messer aus der Küche des Hauses Nummer drei. Licht klebte als schmaler weißer Strich auf der Klinge. Die Spitze des Messers berührte die Brust des Mannes im Anzug, berührte sein weißes Hemd, leise zitternd. Svenja merkte, wie ihr heiß wurde.
»Nashville«, zischte sie. »Bist du verrückt?«
Sie fasste seinen Arm und wollte ihm das Messer wegnehmen, und einen Moment lang sträubte er sich mit erstaunlicher Kraft. Dann ließ er das Messer fallen. Svenja hob es auf.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Er ist … ein bisschen …«
»Was immer er ist«, sagte der Mann im Anzug, nicht mehr freundlich jetzt. »
Ein bisschen
trifft es wohl kaum.«
Und dann standen sie draußen, auf der Straße, in einem kleinen Berg von Koffern und Rucksäcken. Thierry atmete tief durch.
»Ich habe telefoniert«, sagte er. »Christin macht Platz für uns in ihrem Wagen draußen in der Bauwagensiedlung.«
»Sehr anständig von ihr«, sagte
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