Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
geschlafen?« Sie lachte leise. »Es ist nicht so schlecht, wie man denkt. Aber nachts ist es dunkler als anderswo. Und kalt. Und sie haben mir mein Portemonnaie geklaut. Ich habe nichts mehr.«
Friedel griff über den Tisch und legte seine Hand auf ihre. »Wenn ich das gewusst hätte …«
Die Bedienung stand etwas ungeduldig neben ihnen, und Svenja bestellte zwei Bier, um irgendetwas zu bestellen.
»Kater Carlo hat gesagt, du bist nachts in der Stadt, Friedel. Dauernd. Das ist seltsam, weil … Wir hätten uns sehen müssen, oder nicht? Wir waren auch da.« Sie sah Friedel an, prüfend. »Oder auch nicht. Wir waren zwischen den Zeilen.«
»Und jetzt wohnst du bei Holzen«, sagte Friedel. »Dem HNO -Arzt.«
Sie nickte. »Er hat nicht gesagt, wie lange wir bleiben dürfen … als wäre es quasi eine zweitrangige Frage. Gunnar kümmert sich. Sehr. Er ist der erste Mensch, der Nashville etwas wie eine Grenze gezeigt hat. Du hättest das sehen sollen, als Gunnar ihn mitgeschleift hat, damit er nicht alleine da draußen bleibt … Er war wie eine Wildkatze, die sich wehrt.« Sie merkte, dass sie grinste. »Ich glaube, Wildkatzen brauchen Grenzen. Jeder braucht Grenzen, um sein Leben irgendwie geregelt zu bekommen. Gunnar ist …«
»Du bist verknallt in ihn«, stellte Friedel fest. »Quasi. Aber er ist verlobt. Du machst dich unglücklich.«
»Und wenn?«, sagte Svenja. »Ist doch mein Leben. Jeder ist seines Unglücks Schmied.« Sie nahm die Bierflasche, die so schnell am Tisch erschienen war, als wollten sie sie hier loswerden, und legte ihre Hände um das kühle Glas. »Und du?«
»Ich?«
»Du bist auch deines Unglücks Schmied. Was ist mit deinem Studium? Du warst nirgendwo, in keinem Seminar mehr, seit zwei Wochen.«
»Vielleicht hole ich das nächstes Jahr nach. Vielleicht nicht. Im Moment sind andere Dinge wichtiger.«
»Wie nachts im Mensakeller herumzuhängen?«
Friedel sah sie an, als wollte er etwas Bestimmtes sagen, sagte es aber nicht.
»Wer weiß«, murmelte er schließlich. »Das auch.«
Svenja holte tief Luft. »Friedel. Ich habe versucht, deine Großmutter zu finden. Die, die früher unter dem Tisch gewohnt hat. Sie existiert nicht. Deine Großmutter existiert nicht. Sie ist seit zehn Jahren tot, Friedel.«
»Das heißt nicht, dass sie nicht existiert«, widersprach Friedel und trank die halbe Bierflasche leer, vielleicht um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Der Junge, den sie im Wehr gefunden haben, ist auch tot«, sagte er schließlich. »Und trotzdem existiert er. In unseren Köpfen. Ich denke die ganze Zeit an ihn. Ich frage mich, warum sie ihm den Hals durchgeschnitten haben. Weil er etwas wusste oder aus einem ganz anderen Grund …? Ich sehe die Schnitte manchmal im Traum vor mir.«
»Das Messer war scharf. Das Messer
ist
scharf.«
»Sagte die Gabel und zog sich aus.«
»Friedel! Bitte! Das ist nicht lustig!«
»Eigentlich schon«, sagte Friedel. »Eigentlich war der zur Abwechslung ziemlich gut. Und …«
»Friedel. Du warst bei dieser Großmutter, ehe sie den Jungen aus dem Fluss gefischt haben. Du warst bei ihr, als der Zugfütterer gestorben ist. Warst du auch in der Nacht bei ihr, in der jemand Nancy angegriffen hat? Ich weiß es nicht mehr.«
»Moment«, sagte Friedel. »Was ist das? Ein Verhör? Bist du die Polizei und ich der Mörder?«
Sie sagte nichts. Sah ihn nur an.
»Du bist ja verrückt, Svenja Wiedekind«, flüsterte er. »Du bist ja genauso quietschverrückt wie das Kind, das bei dir wohnt.«
»Es wohnt nicht«, sagte Svenja. »Ich habe mehr das Gefühl, dass es ständig … auf der Durchreise ist. Und es ist kein Kind.«
»Ach nein? Was denn dann?«, fragte Friedel und trank den Rest seines Biers, gereizt jetzt. »Ein Elefant? Svenja. Begreif das. Nashville ist
nur ein Kind
, und er ist ein komisches Kind. Jemand muss herausfinden, was hier eigentlich geschieht. Um ihn zu schützen. Möglicherweise vor sich selbst.« Er stellte die Bierflasche mit einem Knall ab. »Ist dir mal der Gedanke gekommen, dass du vielleicht auch auf der Liste dieses Mörders stehst? Weil er glaubt, dass du viel mehr weißt, als du weißt?« Er lachte, erschreckend plötzlich und unpassend. »Du weißt nämlich gar nichts«, sagte er und stand auf. »Aber ich liebe dich.«
Svenja sah ihn im Gewühl verschwinden wie zuvor Nils.
Sie blieb einen Moment lang sitzen, stumm und ärgerlich und, tatsächlich, mit den Tränen kämpfend. Sie hätte nie gedacht, dass Friedel sie
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