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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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verlieren …« Sie lachte, aber nicht fröhlich. »Meine Eltern haben sich getrennt, gerade jetzt, als ich ausgezogen bin. Ich weiß nicht, ob ich die auch vermasselt habe. Als Kind habe ich ewig nicht durchgeschlafen. Vielleicht sind sie deshalb nicht mehr zusammen. Weil ich dazwischenkam. Ich denke, sie haben damals überhaupt nur geheiratet,
weil
ich dazwischenkam. Und jetzt komme ich ständig zu allen Kursen zu spät und …«
    »Spring in den See«, sagte Friedel.
    »Bitte?«
    »Wenn du gerade den Depri kriegst, spring in den See. Hört sich doch alles sehr tragisch an, also wäre das die richtige Geste. Aber du wirst es nicht schaffen, zu ertrinken.« Sie hörte ein Grinsen in seiner Stimme. »Du wirst es vermasseln.«
    »Arschloch«, sagte Svenja.
    »Danke«, sagte Friedel.
    Svenja hob den Kopf und merkte, dass es aufgehört hatte zu regnen. Der Mond fand sich irgendwo am Himmel wieder und ließ eine weiße Spiegelscheibe auf dem Wasser des Sees schwimmen.
    »Wie heißt dieses Ding überhaupt?«, fragte Svenja schroff und deutete darauf.
    »Wasser«, sagte Friedel.
    »Danke. Ich meine: der See? Wie heißt der?«
    »Anlagensee. Das hier ist der Anlagenpark. Aber die Einzigen, die hier ihr Geld anlegen, sind die Penner.« Er kickte mit dem Fuß eine Bierflasche durchs Gras. »Bei gutem Wetter schlafen sie hier. Als Kind wollte ich das auch immer, in einem Schlafsack am Anlagensee übernachten …«
    »Du bist aus Tübingen, ja?«
    »Reutlingen. Nebenan sozusagen. Aber meine Großeltern wohnen hier.«
    Sie gingen am Ufer entlang, wo im Mondscheingebüsch mehr Flaschen glänzten, ganze und zu Scherben zerschlagene Flaschen, Juwelen im Dickicht, blank gewaschen vom Regen. Auf der Mauer an einer Seite des Sees stand etwas in Schablonengraffitischrift.
    »Küssen macht Spaß«, sagte Friedel. »Steht da, meine ich. Ich kenn das Graffiti.«
    Svenja nickte. »Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte sie. »Es ist immerhin möglich, dass er dort ist.«
    »Schön«, sagte Friedel.
    Svenja sah sich um. »Ich … habe vergessen, wie ich hinkomme. Ich muss zur Jakobuskirche.«
    Friedel grinste wieder. »Hast du ein Glück, dass du einen Fahrradkurier getroffen hast, der jede Straße von Tübingen kennt. Komm.«
    Als sie den See verließen, sah Svenja noch einmal zurück.
    »Hast du es je gemacht?«, fragte sie.
    »Gemacht? Was?«
    »In einem Schlafsack hier übernachtet. Mit den Pennern.«
    Friedel schüttelte den Kopf. »Wenn du mal Lust hast, können wir es ja zusammen tun. Ich organisiere einen zweiten Schlafsack.« Er klopfte auf seine Fahrradstange. »Hops rauf.«
     
    Es war seltsam, auf der Stange eines Kurierfahrrads durch die Stadt zu fahren, seltsam und schön. Die nächtliche Stadt stand auf einem unsichtbaren Abtropfgestell. Überall rann die Erinnerung an den Regen von den Dächern. Langsam trauten sich die Leute und die Lichter wieder aus den Kneipen, die Stadt kroch aus ihrem Schneckenhaus und streckte die Fühler tastend in die Nacht. Am Jakobusplatz duftete es schwer nach blühendem Geißblatt.
    In Svenjas Wohnung war kein Junge mit verblichenem T-Shirt.
    »Hübsch hier«, sagte Friedel und sah sich in der Küche um. »So … trocken. Teuer?«
    Svenja schüttelte den Kopf. »Gar nicht. Ist ja nichts restauriert. Stand wohl eine Weile leer. Und die Dusche geht manchmal nicht. Heute ging sie.«
    »Ja«, sagte Friedel. »Vor allem draußen. Ich wohne völlig umsonst.«
    »Bei deinen Großeltern?«
    »Was?« Er sah sie entsetzt an. »Nein! In dem besetzten Haus in der Ulrichstraße.« Er ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen. »Wir zahlen bloß den Strom, den wir dem Haus gegenüber abzapfen.«
    Svenja nieste. Alles in ihr sehnte sich danach, sich ebenfalls auf einen Stuhl fallen zu lassen, oder, besser noch, sich etwas Trockenes anzuziehen und sich dann auf einen Stuhl fallen zu lassen. Die Weinflasche auf dem Fensterbrett zu entkorken und einfach hierzubleiben, mit oder ohne Friedel, ganz egal. Ihr Magen knurrte.
    »Ich muss wieder los«, sagte sie. »Wenn wir zu lange hierbleiben, versacken wir.«
    Friedel gähnte und legte den Kopf auf die Arme. »Ja«, sagte er, »kann sein …«
    Sie zog ihn vom Stuhl hoch. »Geh nach Hause, Friedel. Ich suche allein weiter.«
     
    »Sehen wir uns denn morgen irgendwo?«, fragte er, als sie schon wieder unten auf dem Platz standen. »Erzählst du mir, ob du ihn gefunden hast?«
    Svenja versuchte, sein Gesicht im Dunkel des Kirchschattens zu lesen. »Interessiert

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