Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
dich das?«
»Haha«, sagte Friedel und stieg auf sein Rad. »Natürlich.«
»Dann sehen wir uns wohl«, sagte Svenja. »Fahr jetzt.«
Und er fuhr.
Der Mond war am Himmel weitergewandert und erzählte von vergangener Zeit. Beinahe hörte sie ihn ticken. Svenja ging noch einmal zurück zu der Stelle, an der sich die Straße beim Hotel Hospiz dreiteilte. Hier hatte sie den Schatten verloren. Eine Straße führte nach links, eine steil hinauf zum Schloss, eine hinunter in die Altstadt.
Sie schloss die Augen und versuchte zu denken.
Ich bin er. Ich bin Nashville. Ich bin auf den Badezimmerschrank geklettert. Ich bin eine Leiter am Jakobusplatz hochgeklettert und dann durch ein Fenster. Immer wenn ich Panik bekomme, klettere ich. Hinauf, hinauf, wie eine Katze.
Sie ging langsam über das Kopfsteinpflaster, hinauf, hinauf. Die Straße wand sich leicht nach links und endete am Schlosstor. Darüber, seitlich, zielten zwei steinerne Soldaten auf Eindringlinge. Da waren eine Menge Verzierungen und Vorsprünge im Stein. Es war der ideale Ort, um hinaufzuklettern und sich zu verstecken, hinter einem der Steinsoldaten.
Es war der ideale Ort, und es war niemand dort.
Svenja fluchte und lehnte sich an die Mauer, die die Straße hier flankierte, damit die Touristen nicht in den Schlossgraben stürzten. Fern, vor der Stadt, krochen dunkle Waldhügel langsam ostwärts.
Und dann sah sie das Ding im Schatten der Mauer, auf dem Boden. Und sie sah, dass die Vorsprünge bei den steinernen Soldaten alle glitschig waren vom Regen.
Sie war mit ein paar Schritten bei dem Ding auf dem Boden. Es war, natürlich, kein Ding. Es war ein kleiner Körper. Ein Körper, der in die Höhe geklettert und gefallen war, klitschnass und reglos.
»Nashville?«, flüsterte Svenja. »Nashville?«
Er reagierte nicht. Natürlich wusste er nicht, dass sie ihn so getauft hatte. Sie hob ihn auf und sah, dass er das Halstuch umklammert hielt. Seine Augen waren fest geschlossen. Sie trug ihn die Straße hinunter, ins Licht der nächsten Laterne. In seinem Gesicht war verschmiertes Blut, ein frischer Kratzer lief quer über seine Wange. Der Sandstein des Schlosses war nicht freundlich zu Leuten, die an ihm abglitten.
Sie spürte, wie der Junge in ihren Armen atmete.
Er schlief. Er war nass und womöglich verletzt, aber jetzt schlief er einfach nur, das war alles. Sie trug ihn den ganzen Weg nach Hause.
Er schlug die Augen erst in der Wohnung auf, als sie ihn aufs Bett legte, nass, wie er war. Sie sah das Echo der Panik in seinem Blick. Er rappelte sich hoch, schlüpfte unter ihren Händen durch – doch er kam nicht einmal zwei Schritte weit, dann knickte er mit dem linken Bein weg und sackte mit einem Schmerzenslaut auf dem Fußboden zusammen.
»Du hast dir irgendwas verstaucht oder gebrochen«, sagte Svenja. »Den Knöchel wahrscheinlich. Lass es. Bleib hier. Bitte.«
Nashville drehte sich um und sah sie an, und sein Gesicht sprach Eindeutiges:
Du wolltest mich abgeben.
»Ja«, sagte Svenja. »Ich wollte dich abgeben. Aber ich habe jetzt verstanden, dass das nicht geht. Warum auch immer.«
Sein Blick wanderte zur Schlafzimmertür.
Ist sie offen? Ist die Haustür unten offen?
»Alle Türen sind offen«, sagte Svenja. »Du kannst jederzeit weg. Aber jetzt ziehst du zuerst das nasse Zeug aus und schläfst weiter.«
Er war zu müde, um sich zu sträuben. Sie gab ihm eines ihrer eigenen Hemden, es reichte ihm bis zu den Knien. Svenja deutete auf das Bett, aber er schüttelte den Kopf und kroch darunter, und sie deckte ihn mit der Flickendecke zu. Er umklammerte das zusammengeknüllte nasse Halstuch, als er einschlief. Sie ahnte, dass man es ihm nicht wegnehmen konnte, um es zu trocknen.
»Ich hab es nicht vermasselt«, flüsterte Svenja. »Na. Was nicht ist, kann ja noch werden.«
Sie träumte von dem Fahrrad in der Dunkelheit.
Es fuhr wieder auf sie zu, und diesmal sprang sie zur Seite, stolperte und fiel. Die Straße war nass, aber das Nass war zähflüssig. »Blut«, sagte die Stimme der Histologieprofessorin.
Als Svenja sich aufrichtete, beugte sich der Fahrradfahrer über sie. Es war nicht Friedel. Es war Gunnar Holzen. Er half ihr hoch, und sie sah seinen Wollpullover an und wollte ihr Gesicht daranlegen, um das Blut auf der Straße zu vergessen. Aber in dem Moment, in dem sie den Pullover mit der Wange streifte, war er nur ein dünnes T-Shirt, und sie spürte deutlich eine nicht männliche Figur darunter.
»Katleen?«, fragte
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