Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
gehen«, flüsterte er schließlich. »Wir können hier nicht ewig so sitzen.«
Sie zog ihre Hose über die Hüften hoch, sah ihm beim Anziehen zu und merkte, dass sie grinste. Er nahm ihre Hand. Es gibt nie Mülleimer für verknotete Kondome, wenn man welche braucht. Sie gingen um die halbe Kirche herum, ehe sie einen fanden. Vor einer der Türen schlief jemand in einem Schlafsack wie eine große, verpuppte Raupe.
»Ich glaube, der Alkohol ist abgebaut«, sagte Friedel.
Sie nickte. Sie vollendeten ihre Runde um die Jakobuskirche Arm in Arm, und es fühlte sich gut an, Arm in Arm zu gehen.
»Du machst hier draus aber nicht mehr, als es ist, oder?«, sagte Svenja leise.
Er schüttelte den Kopf. »Ich werd’s versuchen.«
Sie sah sich um, der Morgen kroch herauf, jetzt ganz deutlich. »Komm mit rauf«, sagte sie plötzlich. »Bitte. Ich kann da nicht alleine hochgehen. Ich weiß nicht, was ich zu Nashville sagen soll. Und … wir könnten frühstücken.«
Es fiel ihr auf der Treppe ein. Die Stimme. Die Stimme des Zeitungsverkäufer-Penners. Es war die Stimme vom Spielplatz, die Stimme aus der Nacht.
Wir leben zwischen den Zeilen.
Sie ist jetzt seit zwei Wochen weg. Du weißt nicht, wo sie ist?
Friedel hatte die Fahrradkuriertasche mit hinaufgenommen, er stellte sie in der Küche auf einen Stuhl und schüttelte den Kopf.
»Ich habe die ganze Nacht die WG -Einkäufe mit mir herumgeschleppt«, sagte er mit milder Verwunderung. Sie legte den Finger an die Lippen, damit er leise sprach. »Ich wollte sie gestern noch nach Hause bringen, vor dem Konzert, aber dann …« Er öffnete die Tasche und sah hinein. »Wir könnten geschmolzenes Vanilleeis frühstücken. Oder aufgetautes Tiefkühlsushi. Oder Caipi. Die Limetten hätte ich jedenfalls.«
Svenja umarmte ihn noch einmal, weil er so schön unsinnig da stand, mit der Vanilleeisschachtel in der einen und dem Tiefkühlsushi in der anderen Hand.
»Hey«, flüsterte er. »Wie war das? Mach nicht mehr draus, als es ist …«
Die Ironie des Zitats war ein bisschen verzweifelt. Aber er küsste sie natürlich trotzdem, ohne das Vanilleeis oder das Sushi abzulegen. Es war ein anderer Kuss als zuvor, irgendwie weicher, weniger dringlich, vielleicht geschmolzen wie das Eis oder aufgetaut wie das Sushi.
»Wir könnten duschen«, meinte sie schließlich. »Wir sehen vermutlich beide aus wie durchgekaut.«
»Sagte der Hubba Bubba zum Spearmint und sprang in die Kloschüssel.«
»Wie? Friedel! Könntest du diese Art von Nichtwitzen … einfach … abschalten?«
Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn hinüber ins Bad, leise, leise. Sie flüsterten noch immer. »Der Boiler hat allerdings einen Wackelkontakt …«
»Stell dir vor, er hätte stattdessen einen Dackelkontakt …«
»Sch!«
Die Dusche wurde warm, wenn auch erst nach einer Weile. Sie passten gerade so zu zweit in die winzige Kabine. Svenja hielt ihr Gesicht ins Wasser.
Alles wird gut.
Aber das hatte Gunnar gesagt. Sie öffnete die Augen und fuhr mit dem Finger die Tropfen nach, die über Friedels Haut liefen. Über Muskeln und oberflächliche Venen.
»Anatomie am Lebenden«, flüsterte er.
Sie nickte. »Da gab es so einen Kurs, oder? Im ersten Semester … Friedel, sag mal …«
»Mal.«
»Woher kommen eigentlich die Leichen für den Präp-Kurs?«
»Ich weiß nicht genau. Spenden sich freiwillig. Ich glaube, sie haben das in der ersten Vorlesung erzählt … Sind wohl oft Obdachlose. Geld dürfen sie keinem dafür geben, dass er sich spendet, sonst wäre es ja Körper-Verkaufen wie im Mittelalter. Aber die kriegen am Ende ihre Beerdigung umsonst, mit Gottesdienst. Wo wir übrigens hinmüssen. Hey! Was genau machst du da?«
Svenjas Finger schlossen sich um etwas, das vielleicht eine Erektion werden konnte, wenn man ihm noch ein wenig mehr Zeit ließ.
»Anatomie am Lebenden …«
Da war ein Geräusch außerhalb der beschlagenen halb durchsichtigen Plastiktür. Schritte. Dann öffnete sich die Tür der Dusche.
Svenja zuckte zusammen, zu erschrocken, um die Haltung ihrer Hand zu korrigieren.
Nashville stand vor ihnen, auf dem Rosenfliesenboden, neben dem olivgrünen Kuschelklodeckel, und starrte. Das Dunkel in seinen Augen war bodenlos, er saugte das, was er sah, in sich ein, um sich später daran zu erinnern, schien es zu lernen wie Buchstaben. Zugleich las sie etwas in seinem Blick, das nachts in Friedels Blick gelegen hatte. Als er sie mit Nils gesehen hatte.
Eifersucht? Absurd.
Sie
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