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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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abgelöst worden war von Musik aus der Dose, und mitten in der Dosenmusik machte Svenja die Augen fest zu und konzentrierte sich aufs Tanzen.
    Es gab keinen Wald. Es gab keine Frauenleiche. Es gab auch kein zerfetztes graublaues Halstuch mit Blutflecken darauf. Und keine Haarsträhne. Und kein Akkordeon, das aus dem Nichts aufgetaucht war. Es gab nur die Erinnerung an den Wind.
    Siehst du
, sagte der Wind in den Zweigen vor dem Sudhaus.
    Siehst du, ich habe dich gewarnt. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören
.
    Nein, wer hört schon auf den Wind? Dadrinnen, wo die Musik laut genug ist,
kann
man ihn gar nicht hören.
     
    »Bring mich nach Hause, Friedel. Ich glaube, ich kann nicht mehr geradeaus fahren.«
    »Natürlich. Wir holen dein Rad morgen. Svenja?«
    »Mir ist schlecht. Ich habe vergessen, wo ich wohne.«
    »Alles klar. Komm mit. Du brauchst frische Luft.«
    Auf Friedels Gepäckträger konnte sie besser atmen. Sie hielt sich an Friedels Rücken fest und versuchte, ihre Beine trotz der Fahrradkuriertaschen irgendwie unterzubringen. Stücke des Abends fehlten. Da war etwas mit einer Zeitung gewesen … und mit einer Stimme …
    Und dann, mehrere Ewigkeiten später, waren sie auf dem Platz neben der Jakobuskirche. Hier war alles leer und still. Sie stand neben dem Fahrrad. Friedel hielt sie fest. Er hatte eine Flasche Wasser in der Hand.
    »Trink das«, sagte er. »Das hilft.«
    Svenja trank. Sie tranken gemeinsam. Nur Wasser.
    »Müssen wir morgen irgendwohin?«, hörte sie sich fragen.
    »Du musst nur ins Bett.« Er klang so erwachsen. Passte gar nicht zu ihm. Lustig.
    Dann wusste sie es wieder. Die Leiche. Auf dem Österberg. Nicht lustig.
    »Ich kann da nicht rein«, sagte sie. »Nicht ins Bett. Nicht in diese Wohnung.«
    »Aber …«
    »Ich will hierbleiben. Für immer.« Sie setzte sich auf eine der Steinbänke. »Ich stehe einfach nicht wieder auf.«
    Friedel setzte sich neben sie. Legte einen Arm um sie. Sie weinte in seinen Pullover.
    »Ich habe es vermasselt. Friedel? Was habe ich vermasselt? Warum liegt da eine Leiche?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. Wieder so erwachsen. Sie lehnte sich an ihn, frierend. Er streichelte sie jetzt, sie spürte seine Hand in ihrem Haar, auf ihrem Rücken.
    »Alles ist so furchtbar … Jemand ist tot, und Nashville …«
    »Sch, sch.« Er streichelte sie weiter, und sie streckte einen Arm aus und zog seinen Kopf zu sich herunter.
    Er küsste ganz anders als Nils. Irgendwie weniger geübt. Aber ehrlicher. Und wärmer. Sie setzte sich auf, wärmte ihre eiskalten Angsthände unter seinen Kleidern. Die Haut auf seiner Brust war eine Heizung.
    Es war plötzlich sehr klar, was geschehen musste.
    Sie hörte ihn atmen, ganz nah bei ihrem Ohr, sie strich ihm die eine, störende Rastalocke aus dem Gesicht und ließ ihre Finger über seine Augenbrauen und seine Nase gleiten. Er war sehr lebendig und nicht stumm und nicht geheimnisvoll, und er liebte sie. Das war eine Tatsache.
    Er tat ihr ein bisschen leid deswegen, aber sie tat sich auch leid, wegen anderer Dinge, und jetzt hatte sie schon wieder ein Stück Zeit verloren, denn seine Hände waren ganz woanders als zuvor. Sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren! Sie wollte sich später erinnern.
    »Friedel?«
    Alles wurde etwas eilig. Nicht zu viel ausziehen! Der Morgen war immer noch kühl. Die Steinbank war aus Stein. Der Boden leider auch. Egal.
    »Warte. Ich habe …« Ein Geruch von Gummi und etwas wie Talkum.
    »Du bist gar kein solcher Chaot«, flüsterte Svenja. »Chaoten haben nie Kondome in der Tasche.«
    Vielleicht küsste er sie diesmal nur, damit sie still war.
    Er war noch näher als zuvor, sie sahen beide zur Kirche hin, entschuldigend beinahe. Sie spürte seinen warmen Körper an ihrem Rücken und presste sich an ihn, presste ihn in sich hinein, fühlte seine Hände zwischen ihren Beinen und dachte Zusammenhangloses, während sie sich gemeinsam bewegten: Romantik ist etwas anderes. Jakobus, wer war eigentlich Jakobus? Langsam, langsam … Wie spät ist es? Die Blätter der Bäume hatten in dieser Nacht ein ganz eigenes Rascheln, sie wussten schon, was in der Zeitung stehen würde … Haha, wir sind wie zwei junge Hunde im Rinnstein, gut, dass es noch immer so dunkel ist – dunkel wie im Wald – warte – jetzt – ich – und du –
     
    Vorbei. Der Himmel wagte endlich, etwas Licht in den nächsten Tag tropfen zu lassen.
    Friedel ließ sie lange nicht los.
    »Du musst jetzt nach Hause

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