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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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ihnen hinaus. Eine Tür knallte. Magda sprang von ihrem Stuhl auf und verschwand durch den Schankraum in die Küche, in der eine zunehmend lautstarke Meinungsverschiedenheit zwischen der Köchin und der Kellnerin offensichtlich einen Schlichter benötigte.
    »Der Bericht ist gut«, sagte Alena, nun wieder ernst. »Ganz ausgezeichnet sogar. Sie wollen nicht zufällig den Arbeitgeber wechseln? Leute wie Sie sucht das RFE ständig.«
    »Ist das ein Jobangebot?«, fragte Larissa. Sie lächelte so zufrieden wie eine satte Katze. Steve Persson, der Nachrichtenredakteur der Post , hatte am gestrigen Nachmittag, als sie ihm die Geschichte nur ein paar Stunden vor Redaktionsschluss auf den Tisch gelegt hatte, ganz ähnlich reagiert. Vielleicht sollte sie tatsächlich über einen Wechsel nachdenken. Sie fühlte sich durchaus zu Höherem berufen, als bei der Post die Wald- und Wiesengeschichten zu beackern, die sonst keiner haben wollte. Immerhin hatte sie diesmal etwas Besonderes aufgetan. Die ihr vor ein paar Monaten vom Chefredakteur in Aussicht gestellte Festanstellung bei der Prague Post hing noch immer in der Luft, und ausgerechnet jetzt, wo sie diese herrliche Geschichte ausgegraben hatte, war dessen Stellvertreter, der Chef vom Dienst, kurzfristig in Urlaub gegangen. Nun, RFE wäre noch eine Nummer besser.
    Larissa hatte Alena vor einigen Wochen beim ersten Treffen des neugegründeten Prague Press Club getroffen, einem Klub englischsprachiger Journalisten in Prag. Steve Persson hatte ihr eines Morgens in der Redaktion eine Einladung für die Gründungsversammlung in die Hand gedrückt.
    »Aber die ist doch für den Chef«, hatte Larissa nach einem Blick auf die Karte zweifelnd bemerkt. Das sei schon in Ordnung, hatte Steve geantwortet, der Chef sei nicht da, und er selbst habe keine Lust, da hinzugehen, sie solle sich einen schönen Abend machen. Er habe ein vielversprechendes Rendezvous, meinte er augenzwinkernd. Vielleicht lerne sie ja einen netten Auslandskorrespondenten kennen.
    Korrespondenten hatte sie dort tatsächlich getroffen, einige waren auch nett, aber keiner auf die Art, die Steve wohl im Sinn gehabt hatte. Aber sie hatte Alena kennengelernt, die ihr sofort sehr sympathisch gewesen war. Offenbar hatte diese Einschätzung auf Gegenseitigkeit beruht. Sie hatten sich den ganzen Abend lang angeregt über Gott und die Welt unterhalten und seither ein paarmal auf einen Kaffee getroffen. Alena war erfreut über die neue Bekanntschaft gewesen, denn sie war, wie sie Larissa erzählt hatte, erst seit drei Monaten in der Stadt und kannte erst wenige Leute.
    Als Alena sie heute Morgen angerufen und gefragt hatte, ob sie nicht Lust auf einen Kaffee hätte, hatte Larissa gerne zugesagt. Sie war stolz auf ihre Recherche und ihren Artikel und wollte ihn der erfahrenen Kollegin gerne zeigen. Sie hatte das Ráj vorgeschlagen, und Alena hatte zugestimmt, sich dort mit ihr zu treffen.
    Larissa hatte schon mit Magda an einem Tisch gesessen, als Alena kurz nach acht im Ráj angekommen war. Larissa hatte die beiden einander vorgestellt, und die beiden Frauen waren einander auf Anhieb sympathisch gewesen. Die Unterhaltung jedenfalls, fand Larissa, war angenehm entspannt und freundschaftlich.
    Als würden sie sich alle seit Ewigkeiten kennen. Vielleicht, weil wir alle Expats sind, dachte sie. Expatriats – schon seltsam, dachte sie, wie verbindend die Herkunft im Ausland wirken kann. Aber welche Herkunft? Verband sie die Tatsache, dass sie alle hier geboren worden waren, oder waren sie eher Nordamerikanerinnen, die sich in Europa zufällig im Land ihrer Vorfahren getroffen hatten? Schwer zu sagen, dachte sie. Sie waren hier geboren, hatten alle drei aber nur ein paar Jahre als Kinder hier verbracht. Auch Magda war erst drei Jahre alt gewesen, als sie mit ihren Eltern nach Kanada gegangen war, wie sie ihnen erzählt hatte. Woran auch immer diese Vertrautheit liegen mochte, Larissa genoss sie.
    »Ein Jobangebot? Sind Sie denn auf der Suche?«, fragte Alena lächelnd.
    »Nun, ich habe eigentlich noch nicht darüber nachgedacht, aber die Post ist nichts für die Ewigkeit, wenn Sie verstehen, was ich meine … »
    »Da haben Sie sicher recht. Aber sie ist ein guter Einstieg, denke ich. Und wenn Sie so weitermachen, steht einem Wechsel zu RFE sicher nichts im Wege. Denn wenn das hier Ihre übliche Arbeit widerspiegelt, sind Sie auf Dauer zu gut für die Post .«
    Alena nahm die Zeitung zur Hand und überflog noch einmal die Zeilen.

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