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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bauch gepreßt.
    »Gott liebt einen reinen Körper!« rief er jedesmal. »Und am wichtigsten ist die innere Reinheit!«
    Die Klistierten liefen schnell zu ihren Häusern, ihre Aufnahmefähigkeit für fromme Sprüche war begrenzt.
    Es war schon dunkel – die Hälfte der Dorfbewohner war inzwischen untersucht worden und lag erschöpft in den Betten –, da klopfte es an die Tür des verfluchten Hauses. Michail öffnete sofort, und Dr. Plachunin schlüpfte herein. Gesehen wurde er zum Glück nicht.
    »Das war ein Tag!« sagte Plachunin gedämpft, weil Tassburg die Finger auf die Lippen legte. »Nur Klistiere … Hat man dafür Medizin studiert? Michail Sofronowitsch, mir ist nach einem Wodka! Haben Sie einen?«
    »Einen ganzen Karton voll!«
    »Ha! Ich könnte ihn leeren!« Dr. Plachunin sah sich um. »Wo ist Ihr Schneeflöckchen?«
    »Nebenan. Sie schläft ganz fest. Ihre Medizin ist vorzüglich.«
    »Ich will sie sehen. Sie haben's mir versprochen …«
    »Bitte …«
    Sie gingen leise in das Nebenzimmer, und Tassburg leuchtete Natalia mit einer kleinen Handlampe an.
    Stumm, an den Bettpfosten gelehnt, die Hände in den Hosentaschen vergraben, sah Dr. Plachunin das Mädchen lange an. So lange, daß Tassburg unruhig wurde und den Lichtstrahl wieder von Natalias Gesicht nahm.
    Dr. Plachunin nickte, wandte sich ab und schlich in den großen Wohnraum zurück. Dort setzte er sich an den Tisch auf die verfluchte Eckbank, hob die Wodkaflasche an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck.
    »Sie ist wirklich vom Himmel gefallen, Michail«, sagte er und sah Tassburg wie ein Vater an. »Tassburg, wenn Sie dieses Mädchen enttäuschen, sollen Sie von allen Teufeln gehetzt werden! Sie haben recht: Manchmal lohnt es sich, um eines einzigen Menschen willen verrückt zu werden …«
    Sie saßen noch über eine Stunde zusammen. Tassburg vertraute dem Arzt alles an – auch Kassugais Schicksal. Es war erstaunlich, was der kleine Doktor an Alkohol vertragen konnte. Er goß die Flasche Wodka in sich hinein als sei sie Sprudelwasser. Dann schielte er auf den Karton mit den anderen Flaschen und streckte seine kurzen Beine von sich. »Das ist guter Wodka«, sagte Dr. Plachunin voller Sachkenntnis. »Aus der Staatsbrennerei! Himmel, wenn ich daran denke, was ich bei den Bauern schon bekommen habe! Daß es nicht mehr Blinde und Blöde in Rußland gibt, beweist, wie gesund dieses Volk ist! Aus allem, woraus sich nur Alkohol gewinnen läßt, brennen die Saukerle ihren Schnaps! Natürlich ist das verboten, hohe Strafen stehen darauf … Aber wer will Ankläger sein, solange selbst Funktionäre in ihren Kellern Destillierapparate stehen haben?«
    Er schielte auf den geöffneten Karton mit einer solchen Deutlichkeit, daß Tassburg lächeln mußte.
    »Nun rücken Sie schon noch eine raus!«
    »Sie müssen noch ungesehen aus dem Haus. Vergessen Sie das nicht, Ostap Germanowitsch! Unbemerkt!«
    »Ich lege Ihnen auch noch nach der zweiten Flasche einen Parademarsch hin! Es ist das alte Lied: Nur weil wir Kleinen uns von eurem Riesenwuchs absondern, betrachtet man uns als Zwischenstufe zum Insekt! Dabei vergeßt ihr, daß zum Beispiel eine Ameise in der Relation zum Menschen das Zehnfache an Arbeitsleistung vollbringt! Und wie hoch springt ein Floh im Vergleich zu seiner Körpergröße? Kann das der Mensch? Ha! Und Sie gönnen mir nicht einmal eine zweite Flasche Wodka!«
    »Sie bekommen sie, Doktor.«
    »Her damit!«
    »Doch bevor Sie umfallen …«
    »Zum Teufel, ich falle nicht um!«
    »… sollten wir uns Gedanken über Natalia Nikolajewna machen.«
    »Ihr Nervenfieber wird zurückgehen, der Schock auch. In ein paar Tagen ist sie wieder normal.« Dr. Plachunin rieb unruhig die Hände aneinander. Er wartete auf die Flasche. »Stellen Sie sich doch einmal vor, was das für das Mädchen bedeutet: Es hat, wenn auch in Notwehr, einen Menschen umgebracht! Das ginge sogar mir in die Knie. Tassburg, Sie sind ein Sadist! Sie lassen mich den Wodka ansehen, aber sie greifen nicht nach hinten …«
    »Sofort!«
    »Schon das Wort ist zuviel! Die Flasche könnte längst auf dem Tisch sein!«
    »Sie sind Alkoholiker, Dr. Plachunin?«
    »Immer diese klugen Schlagworte! Alkoholiker! Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, ein Leben lang in Batkit wohnen zu müssen?«
    »Nein.«
    »Und da fragen Sie noch, warum ich saufe?«
    »Keiner hält Sie in Batkit fest, Ostap Germanowitsch!«
    »Das sagen Sie! Ich bin ein von der Gesundheitsbehörde eingesetzter

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