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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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suchte in seinem Arztkoffer die Medikamente zusammen. Auf der Straße, am Zaun, stöhnte Gasisulin laut.
    »Er will ihn wirklich heilen!« stammelte der Sargmacher. »Keiner denkt an meine arme Zunft! Ich war gerade so richtig im Schwung …«
    »Wann erfahre ich, wer Ihre Kranke ist?« fragte Dr. Plachunin und packte die Medikamente in eine kleine Plastiktüte. Dazu gab er eine Spritze und zehn steril verpackte Nadeln. »Bekomme ich sie einmal zu sehen?«
    »Vielleicht. Wie lange bleiben Sie in Satowka?«
    »Das weiß ich noch nicht. Dieser Tigran, einer der größten Halunken, den Gott zu seinem Diener gemacht hat, hat eine Reihenuntersuchung angesetzt. Aufs Kreuz hat er mich legen wollen, weil ich ihm vor drei Jahren das Saufen verboten habe! Aber die Leute sollen staunen! Ich mache die Reihenuntersuchung – aber wie! Man soll mich in Satowka nie vergessen!«
    »Und was werden Sie tun, Doktor?«
    »Ich habe ein Klistier bei mir, und jeder, der zur Untersuchung kommt, kriegt einen Einlauf. So gesunde Taigabewohner wird es nie wieder geben, glauben Sie mir!«
    »Ich glaube es Ihnen!« Tassburg lächelte. »Ich würde gern Ihr Freund werden, Ostap Germanowitsch!«
    »Wir sind schon Freunde, junger Mann!« Plachunin blinzelte, wie man es unter Männern bei diesem Thema tut. »Natürlich ist sie hübsch, Ihre Kranke?«
    »Sie ist eine Schneeflocke – mit einer Seele beschenkt …«
    »So poetisch kann nur ein verliebter Russe sprechen! Und wo stammt sie her? Wie kam sie hierher? Sagen Sie nur nicht: Sie fiel als Schneeflocke vom Himmel! Dann verabreiche ich Ihnen das erste Klistier!«
    »Ich muß Sie enttäuschen: Sie fiel wirklich vom Himmel! Sie war plötzlich da. Nach einer Flucht durch die Taiga. Zu Fuß!«
    »Eine Flucht?«
    »Ein Mann hatte sie nach alter Jakutenmanier von den Eltern gekauft. Als er sie abholen wollte, ist sie auf und davon. Hier war ihre letzte Station, sie konnte einfach nicht mehr.«
    »Dann gebe ich Ihnen noch Vitaminpräparate mit«, sagte Plachunin. »Aber Sie sind sich darüber im klaren, was Sie da tun? Die Taiga hat trotz aller Revolutionen noch ihre eigenen, jahrhundertealten Gesetze.«
    »Ich weiß es, Ostap Germanowitsch. Aber ich besitze auch die uralte Tugend der Russen: Ich kann warten und glaube an die Zeit, die für uns arbeitet. Zunächst aber glaube ich an den Winter!« Er richtete sich auf, und Plachunin stützte ihn. »Sie schreiben mich krank und arbeitsunfähig?«
    »Dann wird man Sie per Hubschrauber abholen!«
    »Ich bin eben nicht transportfähig.«
    »Das gibt es nicht, mit einem Hubschrauber ist jeder transportfähig. Das ist ja die modernste Überlistung des Todes! Nein, ich habe einen anderen Plan. Ich sage, Sie hätten einen Malariaanfall und brauchen Schonung. Bis die aufgehoben wird, haben wir Schnee, kracht der Frost in den Bäumen und kein Mensch kümmert sich mehr um Satowka.«
    »Sie sind großartig, Dr. Plachunin!«
    »Ich bin neugierig. Ich möchte Ihr Schneeflöckchen sehen! Aber dazu muß ich in Ihr Haus!«
    »Allerdings. Und das ist unmöglich.«
    »Nachts! Durch die Hintertür?«
    »Es ist immer jemand da, der das Haus beobachtet. Man erwartet ja die tollsten Spukgeschichten, seit ich darin wohne.«
    »Mir wird schon etwas einfallen.« Plachunin hakte Tassburg unter und brachte ihn bis zum Bannkreis des Hauses. Von dort mußte Tassburg wieder allein zurück zur Tür schwanken. »Ich werde als Gräfin Albina herumwandeln!«
    »Die Gräfin war groß und schön, Doktor!«
    »Danke! In hundertfünfzig Jahren kann man schrumpfen.«
    »Versuchen Sie es mit Mut! Kommen Sie einfach herein!«
    »Man wird erwarten, daß ich als Toter herauskomme. Danke!«
    »Sie werden aus dem Haus fliegen, Ostap Germanowitsch! Aber sanft … mein Tritt wird wohl dosiert sein! Aber wir werden Blut auf Ihr Gesicht schmieren, dann haben Sie zweierlei erreicht: Sie werden als Held gefeiert und Sie sind der erste Mensch – außer mir, der ich bei der Gräfin eine Sonderstellung zu genießen scheine –, der lebend wieder zum Vorschein kommt. Zwar blutend, aber immerhin! Sie leben!«
    »Die Gräfin Albina hat mich als Arzt akzeptiert!« Plachunin grinste verhalten. »Michail, wir sind zwei verdammte Lumpen! Aber es macht Spaß! So alt man auch wird – irgendwo bleibt man immer ein Junge, der zu Späßen aufgelegt ist. Man kann es als Potenz bezeichnen …«
    Dr. Plachunin blieb stehen, bis Tassburg hinter der Bohlentür verschwunden war. Erst dann wandte er sich ab, ging zur Bank

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