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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie lächelte sanft. »Welche Musik?«
    »Kennst du die deutsche Oper: ›Tristan und Isolde‹?«
    »Nein«, erwiderte sie leise.
    »Die Klavierkonzerte von Tschaikowsky?«
    »Auch nicht …«
    »Die Sonaten von Chopin?«
    »Ich kenne gar nichts, Mischa! Ich bin ein dummes, armes Bauernmädchen, das im Magazin der Sowchose Oktoberrevolution gearbeitet hat und an einen Teufel mit Namen Kassugai verkauft wurde – von den eigenen Eltern. So dumm bin ich! Du kannst mich nirgends zeigen, mich nie mitnehmen zu deinen gebildeten Freunden, mich keinem vorstellen und sagen: ›Das ist meine Frau!‹ Ich bin viel zu dumm! Aber ich habe ein Kind von dir.« Sie umfaßte, nach hinten greifend, seinen Nacken und preßte ihren Kopf gegen seine Brust. »Ein Kind – das ist mehr wert als Klugheit, mehr als dein Chopin, Tschaikowsky und wie sie alle heißen … Ich brauche auch keine Musik, um zu wissen, wie sehr du mich liebst! Sag nichts …« Sie nahm seine Hand und führte sie in kreisenden Bewegungen über ihre Brust. »Sei ganz still … Streichele mich nur … aus deinen Händen kommen Träume. Jetzt möchte ich träumen, Mischa … von unserem Kind träumen …«
    Lange saßen sie so an dem prasselnden, knackenden Feuer, schwiegen, küßten sich und waren so vollkommen miteinander verbunden, daß sie nichts zu denken vermochten als immer nur: Wie unsagbar schön ist es, daß du bei mir bist.
    Gegen Mitternacht klopfte es an der kleinen Hintertür. Natalia erschrak.
    »Das ist bestimmt Dr. Plachunin«, sagte Michail und stand auf. Natalia lief ins Nebenzimmer und schloß die Tür.
    »Ich will ihn nicht sehen«, sagte sie noch, bevor sie die Tür zuzog. »Hörst du? Ich lasse ihn nicht an mich heran! Mischa …«
    Tassburg ließ Dr. Plachunin ins Haus. Ostap Germanowitsch sah wie ein winziger, zugeschneiter Weihnachtsmann aus. Auf seiner Mütze hatte sich eine spitz zulaufende Pyramide aus gefrorenem Schnee gebildet. Er nahm die Mütze ab, schlug die Eispyramide an der Wand in Splitter und wedelte dann den Schnee von seinem Mantel. Die Fellstiefel, die er trug, waren viel zu groß und weit, trotzdem sie von einem dreizehnjährigen Jungen aus Satowka geliehen waren.
    »Ich hatte mal wieder Sehnsucht nach Ihnen!« sagte der Arzt mit gedämpfter Stimme, soweit das bei seinem Organ möglich war. »Schläft sie?«
    »Ja.«
    »Dann seien wir leise. Wie geht es ihr?«
    »Sehr gut. Ich bin glücklich, daß Sie da sind, Ostap Germanowitsch. Kommen Sie, setzen Sie sich an den warmen Ofen!«
    »Na, ich bin auch froh! Immerzu Schach mit dem raffinierten Popen! Ein Kerl ist das! Wenn man sich mal schneuzt und gerade das Taschentuch vor dem Gesicht hat, also nichts sieht, setzt er rasch die Figuren anders! Einmal habe ich ihn dabei erwischt, aber was sollte ich tun? Anbrüllen hilft bei dem nichts … der Halunke grinst nur! Und ihm mit Gottes Strafe zu drohen, ist auch sinnlos … So etwas Ungläubiges wie diesen Popen habe ich überhaupt noch nicht gesehen! Was sagt er? Einmal ›Gott kann nicht überall sein‹ und dann wieder ›Gott hat anderes zu tun, als bei unserem Schachspiel zuzusehen!‹ Ein Pope mit einer Säuferleber! Was habe ich vorhin getan, aus lauter Zorn über seine Schummelei? Ich habe ihn gegen das Schienbein getreten, genau auf den kritischen Punkt! Wozu hat man Anatomie studiert? Tigran ist wie ein Klotz vom Stuhl gefallen und hinkt jetzt mit knirschenden Zähnen umher. Er glaubt, ich sei längst im Bett und wird mich unter Garantie nicht mehr stören. Verstehen Sie nun, daß ich das dringende Bedürfnis hatte, einen anderen Menschen zu sehen und zu sprechen?«
    »Kommen Sie, Doktor, und brüllen Sie nicht so!« Tassburg ging voran. Der kleine Arzt trippelte hinterher und entledigte sich am Ofen der viel zu weiten Fellstiefel. Er setzte sich und streckte die Beine der Wärme entgegen. Tassburg holte zwei Gläser und eine Flasche Rotwein.
    »Woher kommt der Wein?« fragte Dr. Plachunin neugierig.
    »Aus Samarkand!«
    »Sie leben hier in der Taiga wie ein Fürst!« sagte der Arzt. »Zuletzt hatten Sie einen grusinischen Roten …«
    »Der ist ausgetrunken! Ich hatte nur sechs Flaschen davon. Fünf haben Sie geleert, Ostap Germanowitsch! Wie steht es denn mit Ihrer Leber, Doktor?«
    »Die ist gesund wie eine junge Mädchenbrust, haha! Und wieviel von dem Samarkandwein haben Sie?«
    »Im Lager zwei Kisten. Hier im Haus zehn Flaschen!«
    »Wolltet ihr eigentlich Erdgas suchen oder euch durch die Taiga saufen?« Plachunin

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