Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
halbe Stunde später hacken sie wieder Holz in der Taiga! Nur sieht Ihre Natalia nicht so aus, als ob sie zu diesem Typ gehörte. Ich halte es für geradezu verbrecherisch, sie in die Einsamkeit mitzuschleppen. Stellen Sie sich das vor … Im achten oder neunten Monat, in einem Lastwagen, der über Bodenwellen holpert, sich durch Felsenschluchten quält, das Unterholz der Taiga durchbricht, in Sümpfen steckenbleibt … Das hält niemand aus, bestimmt aber Natalia nicht …«
»Sagen Sie es ihr … mir glaubt sie es nicht.« Tassburg starrte in die knisternden Flammen. Die dicken Holzkloben zersprangen in der Glut, als seien sie mit Pulver gefüllt. »Aber sie will Sie nicht sehen, sie ahnt so etwas. Sie ist wie ein Tier, das schon auf weite Entfernungen Gefahr wittert. Ostap Germanowitsch …«
»Ich höre geduldig zu!«
»Wenn es möglich ist, nehme ich an, wird Sie doch ein Hubschrauber aus Batkit hier abholen.«
»Ich hoffe es, aber so sicher bin ich da nicht. Ich werde mich wohl allein auf den Weg machen müssen. Da dieser Ort voller Wunder ist – das ist das einzige Verdienst des Halunken Tigran! –, sind auch Benzin und Lenkrad meines Wagens längst wieder zur Stelle. Nur durch die Schneeverwehungen komme ich nie durch! Aber wenn ein Lastwagen aus Batkit die Strecke freipflügt, dann bin ich weg! Wann kommt denn eigentlich Nachschub für dieses Saudorf?«
»An sich einmal im Monat, manchmal auch nur alle sechs Wochen, sagt Petrow, unser Dorfsowjet.«
»Dann ist der Wagen überfällig. Kommt anscheinend auch nicht durch, trotz Schneepflug! Aber einmal wird er da sein! Was wollten Sie nun sagen, Michail Sofronowitsch?«
»Wenn Sie wegfahren, geben Sie mir vorher ein paar Schlaftabletten für Natalia. Dann bringen wir sie zum Auto oder zum Hubschrauber, und wenn sie aufwacht, liegt sie in Ihrem Haus in Batkit sicher im Bett!«
»Und wirft mir alles, was gerade greifbar ist, vor den Kopf! Sie verlangen Heroisches von mir, Michail Sofronowitsch. Und wissen Sie auch, was sie dann tun wird? Aus Batkit verschwinden und sich zu Ihnen durchzuschlagen. Sie hat doch Übung im Durchqueren der Taiga …«
»Das stimmt. So sehr liebt sie mich.«
»So verrückt ist sie – sollten Sie lieber sagen!« Dr. Plachunin rückte etwas vom Ofen weg. Es wurde ihm zu warm. »Ich habe einen Vorschlag, Tassburg.«
»Ich ahne Fürchterliches!«
»Diesmal nicht! Wie wäre es, wenn ich Sie soweit präpariere, daß man Sie von der Aufgabe, nach Erdgas zu suchen, entbindet und zurück nach Omsk schickt? Sie haben dort doch eine nette Wohnung! Dann könnten Sie Natalia mitnehmen – der Genosse Ingenieur kommt zwar als Fieberkranker aus der Taiga zurück, bringt sich aber ein süßes Frauchen mit. Das ginge doch …«
»Die Zentrale wird mich nie beurlauben! Unser Trupp ist so etwas wie ein Ausstellungsstück, das sogar ausländischen Delegationen vorgestellt wird. Ich müßte schon den Kopf unter dem Arm tragen …«
»Dazu will ich Ihnen ja verhelfen!«
»Einen Kopf amputierten wird Natalia nicht akzeptieren!« sagte Tassburg mit krampfhafter Fröhlichkeit. »Auch wenn es in die Tradition dieses Hauses paßt.«
»Ich mache Sie so krank, daß man Kerzen neben Ihnen aufstellt!«
»Das glaube ich Ihnen. Und dann? Dann bin ich ein Wrack …«
»Tassburg, Sie Idiot! Ich erzeuge bei Ihnen ein Sumpffieber, daß man Sie bei unserer Angst vor Infektionen nur noch aus weiter Entfernung betrachtet. Darin ist Rußland ganz groß! Wenn Sie an Ihre Tür schreiben: ›Achtung, Infektionsgefahr!‹, wird niemand mehr das Zimmer betreten, auch die höchsten Sicherheitsorgane nicht! Man wird höchstens das ganze Haus mit Ihnen abbrennen lassen. Also: Sie bekommen ein Sumpffieber, daß Sie vor Fieberglut im Bett schweben. Sie haben doch ein starkes Herz, um diesen Fieberstoß auszuhalten?«
»Ich bin kerngesund.«
»Das stelle ich gleich fest, ziehen Sie sich schon mal aus!« Dr. Plachunin goß sich von neuem Wein ein und betrachtete Tassburg, der sich tatsächlich auszog. Dann stand er nackt vor dem Feuer: ein großer, kräftiger, muskulöser Mann mit einem Brustkorb, auf dem man Steine zerschlagen konnte. Aber die zweiunddreißig Jahre merkte man ihm doch an … um die Hüfte und unter dem Magen hatte sich etwas überflüssiges Fett angesammelt.
»Sie essen und trinken zuviel, Michail!« stellte Plachunin fest. »Später, als geruhsamer Ehemann, werden Sie dick – Sie haben die Anlage dazu! Aber noch sind Sie ja ein Klotz von Mann!«
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